Was ist bloß los in unserer Arbeitswelt? Warum dauert es so lange, bis Führungspositionen in ausreichender Anzahl mit Frauen besetzt sind?
Im Ranking der 27 EU-Mitgliedstaaten aus dem Jahr 2022 [*1], liegt der Frauenanteil hierzulande immer noch nur bei 29 Prozent. Deutschland belegte damit den 21. Platz. Im EU-Schnitt liegt die Frauenquote bei etwa 35 Prozent; Vorreiter ist Lettland mit 45 Prozent, ferner sind Polen, Schweden und Bulgarien jenseits der 40 Prozent-Marke.
Aus dem jährlichen Bericht der AllBright Stiftung [*2] wissen wir, dass 86 Prozent der Vorstände deutscher Börsenunternehmen Männer sind. Die Dynamik bei der Erhöhung des Anteils der Frauen, die in Führung gehen hält zwar an, doch es ist immer noch viel zu tun. In den Vorständen der 160 börsennotierten Unternehmen (DAX, MDAX und SDAX) gingen zwischen September 2022 und September 2023 37 Prozent der neubesetzten Vorstandspositionen an Frauen. Somit gibt es also erstmals weniger Unternehmen, deren Vorstands-Etage nur mit Männern besetzt ist (66) als Unternehmen, die mindestens einmal eine Frau im Vorstand haben (94). Allerdings haben 71 der 160 Unternehmen nur eine einzige Frau im Vorstand, was auch noch weit entfernt von Parität ist.
Insgesamt stellt sich bei vielen Menschen, die das Thema schon lange beobachten und aktiv etwas für mehr Frauen in Führung unternehmen, Ernüchterung ein.
Es gab bisher keine bessere Zeit für Frauen, um eine Führungsaufgabe zu übernehmen. Frauen sind genauso top ausgebildet und schließen ihr Studium oder ihre Ausbildung prozentual sogar besser ab als Männer. Frauen sind genauso intelligent wie Männer, ehrgeizig und engagiert. Frauen können sich auf ihre Art durchsetzen und Teams zu Spitzenleistungen führen. Das ist auch ganz hervorragend im Sport feststellbar. Frauen sind also nicht weniger geeignet, haben nicht weniger Potenzial und haben ebenso Führungskompetenz.
Haben einst nur Männer die vermeintlich benötigte Stärke, Dominanz und Durchsetzungsfähigkeit bewiesen, können Frauen heute theoretisch auf allen Feldern mitspielen – aber leider nur theoretisch.
Denn bei den Auswahlprozessen passiert meist folgendes: In unserer männerdominierten Führungslandschaft sitzen oft noch Männer an den Schalthebeln der Macht, die ihrem eigenen Geschlecht in Sachen Führung mehr zutrauen. Und so kommt es, dass Frauen noch zu selten befördert werden. Das ist ernüchternd zu beobachten, denn es scheint nach wie vor auf das Geschlecht anzukommen und nicht so sehr auf das Potenzial und die Kompetenz.
Fragt man ambitionierte Frauen, ob sie grundsätzlich Interesse an einer verantwortungsvollen Aufgabe, ja sogar einer Führungsposition haben, dann hört man häufig ein „ja“. Gemeinsam mit Professor Armin Trost, der an der Hochschule Furtwangen Arbeits- und Organisationspsychologie lehrt, entstand im Jahr 2021/2022 eine repräsentative Studie [*3], die plakativ aufzeigt, worauf Frauen bei der Besetzung einer Führungsposition Wert legen. Ganz offensichtlich ist, dass es die Rahmenbedingungen, Strukturen und die Unternehmenskultur sind, die Frauen oftmals von einem entscheidenden Karrieresprung abhalten.
Und was ist es denn nun konkret, dass Frauen den Eindruck haben, dass man sie als Führungskräfte gar nicht finden will? Ihnen also gar nicht den Weg dazu ebnen will?
Es kann nur eine geben!
Die Eins ist die einsamste Zahl der Welt. Sitzt man als einzige Frau in der Management-Runde, stellt sich oft ein Gefühl der Einsamkeit ein. Frauen fühlen sich – allein in männerdominierten Zirkeln – oft wie eine absolute Exotin. Wohlbefinden sieht anders aus.
Es ist auf Dauer anstrengend, immer „die Andere“ zu sein, die, die nicht so recht ins Bild passt. Frauen bestätigen im Gespräch, dass ihnen diese Andersartigkeit durchaus vermittelt wird:
„Du kannst bei uns mitmachen, wenn du bist wie wir.“
Das ist häufig die unterschwellige Botschaft, die Frauen in Führungspositionen von ihren männlichen Kollegen vermittelt bekommen. Und will man sich als Frau nicht anpassen, dann ist man raus. Ein eindeutiger Small-Talk-Ausschluss – es wird nur über Fußball gesprochen – oder die unterlassene Einladung zum After-Work-Event mit den Kollegen, sind beliebte Mittel der Wahl.
Doch Potenzialentfaltung braucht das Gegenteil: Eine Kultur, in der man als gleichwertig betrachtet wird, auch wenn man anders ist. Ein Umfeld, in dem man als Mensch mit den eigenen Skills und Talenten wertgeschätzt wird. Frauen in Führung wollen erfahren, dass sie als Bereicherung empfunden werden und nicht als Störfaktor, der nicht so recht ins Unternehmensbild passt.
Frau zu sein ist doch kein Anzeichen von fehlender Kompetenz!
Insgesamt ist Kompetenzzuschreibung das Zauberwort. Frauen erwarten, dass sie in ihrer Position uneingeschränkt anerkannt werden, über alle Hierarchiestufen hinweg. Sie wollen nicht als Führungskraft wahrgenommen werden, „obwohl sie eine Frau sind“, sondern weil sie die dafür notwendigen Fähigkeiten, die Kompetenzen und die Leistungsbereitschaft mitbringen.
Scheinbar sind die Ansprüche an Frauen höher, von außen, aber auch durch die Frau selbst. Alles perfekt machen, sich ganz besonders anstrengen, sich täglich aufs Neue beweisen, damit sind Frauen konfrontiert. Denn ein Scheitern würde bestehende Vorurteile weiter befeuern: Frauen können nicht führen. Die Frage, ob sie als weniger fähig bewertet werden wollen, um dann ihre Kompetenz permanent beweisen zu müssen, wägen Frauen sehr genau ab – und das ist keinesfalls als ein „nicht-führen-wollen“ zu werten.
Frauen präferieren einen anderen Führungsstil!
Die oben zitierte Studie hat es eindeutig gezeigt: Frauen präferieren einen anderen Führungsstil als jenen, der in den meisten Organisation gelebt und gefordert wird. Ein Führungsstil der eher weiblichen Art hat sich noch lange nicht durchgesetzt. Dabei ist der Ansatz des „Servant Leadership“ als Idee gar nicht so neu. Führung als partnerschaftliche Dienstleistung, Entwicklung jenseits der eigenen Komfortzone, Ermutigung des geführten Teams, eigenständig zu arbeiten und Probleme zu lösen, führen auf Augenhöhe, eine Rolle als Befähigerin bis hin zum „coachendem Führen“ – das sind wichtige Prämissen für ein weiblicheres Management.
Diesen Führungsstil gilt es zu respektieren. Frauen wollen ihren eigenen Stil ausleben und dabei nicht kritisch beobachtet werden und täglich negativen Kommentaren ausgesetzt sein.
Dafür gilt es die Rahmenbedingungen im Unternehmen zu schaffen, damit Frauen ihren präferierten Führungssteil auch leben können.
Empathie lässt sich nicht gesetzlich regeln
Gesetzlich ist es nun verbürgt: Die Führungspositionen-Richtlinie der EU ist zwischenzeitlich in Kraft getreten. Es gilt das Mindestbeteiligungsgebot von einer Frau für Vorstände mit mehr als drei Mitgliedern von börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen, umzusetzen bis 2026 – das markiert einen deutlichen Wendepunkt für Europa und für unsere Arbeitswelt.
Doch Change per Verordnung führt meist nicht zum erhofften Ziel. Wir alle, und vor allem Männer in verantwortungsvollen Positionen, sollten ins Umdenken kommen, ihre Glaubenssätze und Vorurteile hinterfragen und die Frauen es auf ihre Art machen lassen. Man darf wissen, dass Frauen immer noch nach vorwiegend männlichen Verhaltensmustern und Kriterien bewertet werden. Dabei schreibt man die klassischen Führungsattribute (dominant, durchsetzungsfähig, verhandlungssicher, entscheidungsstark, sachlich), eher den Männern zu. Auf der Habenseite bei Frauen werden Empathie, Kommunikationsstärke, Teamfähigkeit, Co-Creation, Konsensorientierung genannt – Attribute, die in den letzten Jahren mit kompetenter Führung nicht unbedingt verbunden werden. Doch genau das sind aber die Attribute, die absolut notwendig sind für ein zukunftsfähiges Leadership und die bereits heute schon unter der Überschrift „future skills“ zusammengefasst werden.
Das Denken und Verhalten von Frauen ist anders. Und weibliches Führungsverhalten ist genauso wertvoll. Diese Andersartigkeit muss anerkannt und wertgeschätzt werden.
Deshalb sollten sich HR-Verantwortliche und das Management viel intensiver fragen, warum sich keine Frau bewirbt. Sich dann empathisch in die Situation von Frauen hineinversetzen. Am besten in einem gemeinsamen Gespräch. Und dann ihre Bedürfnisse nachvollziehen lernen.
Dann kann man beginnen, Strukturen und Unternehmenskulturen so zu verändern, dass sich dort alle aufgehoben fühlen.
[1] Quelle: https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Bevoelkerung-Arbeit-Soziales/Arbeitsmarkt/Frauenanteil_Fuehrungsetagen.html#:~:text=In%20Deutschland%20waren%20im%20Jahr,Deutschland%20nur%20im%20unteren%20Drittel, Abruf: 13.02.2024
[2] Quelle: https://www.allbright-stiftung.de/spitze, Abruf: 13.02.2024
[3] Quelle: Studie „Frauen wollen führen – aber unter anderen Vorzeichen“, www.femaleleader.info
Über die Autorin
Lilian Gehrke-Vetterkind ist Autorin des Buches „Frau kann Chef. Mit Freude und Gelassenheit in Führung gehen“, das im Sommer 2023 beim GABAL Verlag erschienen ist.
Sie ist Diplom-Betriebswirtin mit über 20 Jahren Praxiserfahrung im Finanzvertrieb, sowie der Personalentwicklung und Erwachsenenbildung. Sie ist ausgebildete Systemische Beraterin für Organisationsentwicklung und Change-Management, Kommunikationsberaterin nach Schulz von Thun, Trainerin und Moderatorin sowie LINC Personality Profiler Coach
Seit Mitte 2021 Jahren berät sie als Unternehmensberaterin ihrer eigenen Beratungsboutique Gehrke & Vetterkind Consultants Unternehmen zu Diversity, Inclusion und Unternehmenskultur. Sie ist Kooperationspartnerin der Haufe Akademie bei der Diversity & Inclusion Master Class, die sie mitkonzipiert hat. Außerdem ist sie Initiatorin des Young Female Leadership Program und begleitet hier Frauen auf ihrem Weg zur Führungskraft.
In ihrer Freizeit engagiert sie sich ehrenamtlich als Mentorin bei der Deutschlandstiftung Integration und bei MentorMe.
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