Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass die Regelung der Unternehmensnachfolge zu den Königsdisziplinen der Betriebsführung gehört.
Schließlich galt die Sicherung des Erbens bereits unter den mittelalterlichen, feudalen Herrschern vergangener Tage als eine der größten Herausforderungen, war mit ihr doch die Erhaltung von Herrschafts- und Gebietsansprüchen verbunden. Da wundert es nicht, dass man seinerzeit auf so einige Kniffs und trickreiche Vorgehensweisen wie Intrigen, Machtkriege oder auch strategische Ehebünde setzte. Glücklicherweise gelten heute andere moralische Standards und niemand muss mehr auf derlei Methoden zurückgreifen. Dennoch verspüren die meisten Menschen im Laufe ihres Lebens das starke innere Bedürfnis, die Werte, die sie geschaffen haben, in die Hände der nächsten Generation weiterzugeben – auf dass Sie es einmal besser haben oder machen sollen.
Unternehmensinhaber bilden hier freilich keine Ausnahme. Ganz im Gegenteil: Der eigene Betrieb wurde über viele Jahrzehnte unter großem persönlichem Einsatz mit Herzblut und oft auch unter vielerlei Verzicht aufgebaut und entwickelt. Man kennt die eigenen Kunden und Lieferanten über viele Jahre und häufig sind auch die Mitarbeiter mit dem Unternehmen „groß geworden“, gehören sogar fast zur Familie. Auch am Standort, in der Region „ist man wer“ – der Name des Betriebs ist untrennbar mit der Unternehmerpersönlichkeit verbunden. Kein Wunder also, dass den meisten Unternehmern sehr viel daran liegt, ihr Lebenswerk erfolgreich in die nächste Generation zu führen.
Allein deshalb hätte die Unternehmensnachfolge den Titel „Königsdisziplin“ mehr als verdient. Wenn man nun noch die unterschiedlichen Handlungsfelder innerhalb des Prozesses betrachtet, die von rechtlichen über steuerlichen, sowie von betriebswirtschaftlichen bis hin zu ganz persönlichen Fragestellungen reichen, werden die zeitlichen und inhaltlichen Dimensionen schnell deutlich. Da überrascht es nicht, dass Experten für den Nachfolgeprozess einen Vorbereitungszeitraum von drei bis sieben Jahren veranschlagen. Nicht zuletzt bedeutet die Staffelübergabe auch einen harten Schnitt für alle Beteiligten: Der Alltag wird künftig anders sein als bisher.
Erfolgsfaktor beim „war for talents“
Genau diese Form der Veränderung ist jedoch im Wirtschafts- und Unternehmenskontext heute wichtiger denn je. Das Phänomen des Fachkräftemangels und die derzeitige Entwicklung zum Arbeitnehmermarkt sowie die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen machen es für kleine und mittlere Unternehmen unterschiedlicher Branchen zunehmend schwer, qualifizierte Mitarbeiter zu finden und langfristig im Unternehmen zu halten. Diese jedoch bilden das Fundament für den nachhaltigen und tragfähigen Erfolg eines Unternehmens. Eine Unternehmenskultur, die auf einer starken Wissensbasis, auf Wertschätzung, Vertrauen und gegenseitige Unterstützung aufbaut, bildet daher heute mehr denn je einen entscheidenden Wettbewerbsfaktor im „war for talents“.
Da kleine und mittlere Unternehmen in der Regel eher zu familiären und persönlichen Arbeitsumfeldern neigen, können sie die hierfür notwendigen kulturellen Veränderungen meist schneller meistern als große Unternehmen mit konzernartigen Strukturen. Doch das setzt neben einer inneren Veränderungsbereitschaft auch einen starken Gestaltungswillen voraus. Beides – so viel Ehrlichkeit sei an dieser Stelle erlaubt – fällt nicht wenigen Menschen mit zunehmendem Alter naturgemäß schwerer.
Deshalb gilt es im Rahmen der Unternehmensnachfolge sowohl für den Senior-Unternehmer als auch für den Nachfolger einen komplexen Veränderungsprozess auszulösen, der sowohl Aspekte des Change-Managements als auch Methoden des Wissenstransfers umfasst.
Was ist Wissen?
Doch was genau ist Wissen eigentlich? Eine einfache Definition mag direkt auf Anhieb nicht gelingen. Dennoch ist es für ein besseres Verständnis der Relevanz eines effektiven Wissenstransfers wichtig, was unter dem Begriff „Wissen“ zu verstehen ist.
Als Ansatz lässt sich folgende Definition heranziehen:
„Wissen bezeichnet die Gesamtheit der Kenntnisse und Fähigkeiten, die Individuen zur Lösung von Problemen einsetzen. Dies umfasst sowohl theoretische Erkenntnisse als auch praktische Alltagsregeln und Handlungsanweisungen. Wissen stützt sich auf Daten und Informationen, ist im Gegensatz zu diesen jedoch immer an Personen gebunden.“
Thommen, JP., Achleitner, AK., Gilbert, D.U., Hachmeister, D., Kaiser, G. (2017). Wissensmanagement. In: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-07768-6_46
Hier wird bereits deutlich, dass es „das“ Wissen in generischer Reinform nicht gibt. Vielmehr basiert es immer auf einem individuellen Bezugssystem und persönlicher Erfahrungen. Damit ist Wissen auch mehr als die bloße Aufnahme von Informationen oder Daten.
In der wissenschaftlichen Fachliteratur finden sich diverse Ansätze zur Abgrenzung von unterschiedlichen Wissensarten.
Mit Blick auf die Möglichkeiten zur Übertragung von Wissen im praxisbezogenen Kontext der Unternehmensnachfolge soll sich hier auf die Unterscheidung von „explizitem Faktenwissen“ vom „impliziten Können“ beschränkt werden.
Explizites Faktenwissen - Implizites Können
Faktenwissen oder explizites Wissen ist anhand von Daten und Informationen vorhanden. Es ist das „Know-what“ und objektiv, da es grundsätzlich für Dritte erfass- und erfahrbar ist. Faktenwissen basiert auf dokumentierten, zugänglichen Informationen, die nicht personengebunden sind. Hierzu gehören etwa Dokumentationen (z. B. Prozessdokumentationen), schriftliche Notizen, Fachliteratur oder auch Skizzen.
Faktenwissen ist datenbasiert, jedoch nicht zwingend schriftlich. Auch Trainingsvideos oder Übungsaufgaben in computergestützten Lernprogrammen sind dem expliziten Wissen zuzuordnen.
Implizites Wissen oder Können beschreibt das Handlungs- und Erfahrungswissen. Dieses ist subjektiv und entspricht dem persönlichen Erfahrungsschatz samt damit verbundener Emotionen. Das implizite Wissen ist das „Know-how“ und entsteht aus der (wiederholten) praktischen Anwendung von Wissensinhalten und individuell erlebter Lernerfahrungen.
Implizites Wissen ist subjektiv und im Kopf des Wissensträgers gespeichert. Es ist weiterhin meist nicht bewusst abrufbar, da Handlungen weitestgehend automatisiert ablaufen. Dies beeinflusst auch die Übertragbarkeit von implizierten Wissensinhalten.
KMU weisen, u. a. aufgrund einer oftmals restriktiven Informationspolitik der Unternehmerpersönlichkeit und der in der Regel geringeren Fluktuation im Vergleich zu großen Unternehmen und Konzernstrukturen, eine deutlich größere Menge impliziten Wissens auf. Deshalb ist der Transfer dieser Wissensart für einen nachhaltig erfolgreichen Nachfolgeprozess von besonderer Bedeutung.
Unterschiedliche Wissensarten erfordern spezifische Methoden der Übertragung
Die unterschiedlichen Wissensarten erfordern jeweils spezifische Methoden der Übertragung. Dabei ist die Übertragung von explizitem Wissen bzw. Faktenwissen aufgrund der Bindung an Trägermedien meist einfacher als der Transfer von implizitem Wissen. Dieses liegt schließlich nicht in textlicher oder bildlicher Form vor, sodass es von einer dritten Person darüber aufgenommen werden kann, sondern ist in den Köpfen der Wissensträger gespeichert. Im Prozess der Betriebsübergabe sind grundsätzlich beide Wissensarten betroffen. Der Nachfolger muss im Rahmen des Übergabeprozesses sowohl Zugang zu expliziten Wissensgegenständen erhalten als auch implizites Wissen darüber erlangen, wie die betriebliche Leistung des Unternehmens so zu erbringen ist, dass sich unternehmerischer Erfolg einstellt. Für das implizite Wissen ist dies jedoch nicht möglich, da dieses meist nicht bewusst artikulierbar ist und persönliche Lernerfahrungen eine wesentliche Rolle spielen. Deshalb bedarf die Übertragung von Handlungs- und Erfahrungswissen spezifischer Übertragungsmethoden und vor allem: Zeit.
Über den Autor
Christian Schuchardt wurde 1984 in Bremen geboren. Seit 2018 lebt und arbeitet er in Potsdam. Nach seiner kaufmännischen Berufsausbildung studierte er berufsbegleitend Wirtschaftspsychologie und bildete sich zum Diplom-Betriebsorganisator weiter. Die Kombination von psychologischem Hintergrundwissen und einer wirtschaftlichen Denkweise spezialisierte er vor allem in der Steuerung und Umsetzung von umfassenden betrieblichen Veränderungsprozessen. So konnte er in verschiedenen Führungspositionen u.a. bei Unternehmen in Energiesektor, im Dialogmarketing und in der Filmbranche erfolgreich Change- und Entwicklungsstrategien umsetzen, die auch Transaktionsprozesse umfassten. Seit 2020 ist er Projektreferent für Unternehmensnachfolge bei der Industrie- und Handelskammer in Potsdam und begleitet dort Unternehmen bei der großen Herausforderung des Generationswechsels. Hier entwickelte er mit dem „Nachfolge-Canvas“ und dem „Übergabereifegrad“ zwei innovative und wirkungsvolle Tools, die vor allem Senior-Unternehmer bei den diversen komplexen Fragestellungen der Unternehmensnachfolge unterstützen. Weiter gehört dort, neben der Entwicklung von Online- und Präsenzveranstaltungen und Informationsangeboten auch das Halten von Vorträgen vor Unternehmen, Verbänden und Wirtschaftsfördereinrichtungen in Brandenburg zu seinem Aufgabengebiet.