Wirtschaft, Gesellschaft

KI JETZT! Wie künst­liche Intel­li­genz Ihren Arbeit­s­alltag erleich­tern kann

Interview mit Kai Gondlach und Mark Brinkmann

Angereichert mit topaktuellen Erkenntnissen aus Zukunftsforschung und Beratungs- sowie Unternehmenspraxis, bietet "KI jetzt! Wie Künstliche Intelligenz Ihren Arbeitsalltag erleichtern kann", das neue Praxisbuch von Kai Gondlach und Mark Brinkmann umfassendes Wissen rund um die Chancen und Risiken der zukunftsträchtigen Technologie sowie zu den Voraussetzungen, die für eine erfolgreiche Implementierung von KI in Ihre Geschäftsprozesse wichtig sind. 

Das nachfolgende Interview mit den Autoren ist im Sortimenterbrief Ausgabe Mai 2024 erschienen. 

Welchen beruflichen Hintergrund haben Sie und seit wann steht die KI in Ihrem Forschungsinteresse?

MARK BRINKMANN: Ich beschäftige mich in Europas größtem Handelsunternehmen seit mehr als vier Jahren täglich und intensiv mit der KI. Dabei trage ich die Verantwortung für mehrere Teams, die an der Implementierung von unterschiedlichen KI-Lösungen arbeiten. 

KAI GONDLACH: Ich leite das Zukunftsinstitut PROFORE in Leipzig und habe zuvor den Zukunftsforschungsbereich eines Thinktanks aufgebaut. Meine akademischen Wurzeln liegen in der Soziologie, Politik- und Verwaltungswissenschaft, wodurch ich immer den systemischen Blick mitbringe. Diesen habe ich im Masterstudium Zukunftsforschung auf die Zukünfte ausgeweitet. KI treibt mich seit meiner Jugend an, da ich eine starke Affinität zu digitalen Medien und IT-Themen in die Wiege gelegt bekommen habe. 

Ihr neues Buch „KI jetzt!“ leiten Sie mit einem Satz ein, der zugleich ein wichtiges Leitmotiv Ihres Handelns und Ihres Zugangs zu Künstlicher Intelligenz ist: „Innovation lebt vom Mitmachen.“ Was bedeutet dieser Satz für Sie und uns alle mit Blick auf KI?

KAI GONDLACH: Genau genommen stammt dieser Satz aus dem Grußwort von Deepa Gautam-Nigge, die bei SAP das Corporate Development verantwortet und Aufsichtsrätin bei Aleph Alpha ist – DEM Hoffnungsschimmer am deutschen KI-Horizont. Wir stehen aber voll und ganz hinter dem Satz, denn KI ist ja nicht nur eine Technologie, sondern stellt die gesamte Aufbauorganisation und Unternehmenskultur auf den Kopf. Wer das früh begreift, hat die besten Chancen, die 2030er zu erleben. KI steht somit auch für „kollaborativ und interdisziplinär“ statt „Künstliche Intelligenz“.

MARK BRINKMANN: Wenn man mit KI loslegt, ist es nicht so, dass man am Anfang weiß, was man am Ende herausbekommt. KI-Modelle werden erst über die Zeit besser, daher muss man einfach mal anfangen und sehen, wo man erfolgreich ist, und die Modelle dann kontinuierlich optimieren. Und das geht nur mit viel menschlicher Intelligenz und Kooperation.

Für wen haben Sie das Buch geschrieben und mit welchem Ziel?

MARK BRINKMANN: Das Buch ist für jeden, der mehr darüber erfahren möchte, wie KI seinen Arbeitsalltag verändern wird. Darüber hinaus beschreiben wir hier einen Weg, wie man mit KI in einem Unternehmen starten kann. Das Herzstück sind die 22 Anwendungsfälle, die Inspiration für einen Start mit KI ermöglichen sollen.

KAI GONDLACH: Die ersten beiden und das letzte Kapitel sind wirklich bewusst niederschwellig geschrieben, sodass alle Menschen eine bessere KI-Grundlage erhalten können und erfahren, worauf sie sich in Zukunft freuen können. Der Mittelteil richtet sich an Entscheidungsträger in Organisationen aller Art – dazu zähle ich auch ganz klar Abgeordnete und die öffentliche Verwaltung.

KI löst bei vielen Menschen Ängste und Widerstand aus, gefürchtet werden Jobverlust, noch mehr Desinformation im Internet und vieles mehr. In diesem Zusammenhang sprechen Sie von einer Wahrnehmungsverzerrung in vielen Teilen der Gesellschaft. Was meinen Sie damit?

KAI GONDLACH: Einerseits sind viele Ängste begründet, und wir müssen sie ernst nehmen. Doch wir müssen zugleich darauf achten, dass die rasante Entwicklung nicht in anderen Teilen der Welt davonzieht, denn sonst könnte das nicht nur das wirtschaftliche, sondern womöglich auch das ethische Ende Europas besiegeln. Um das Vertrauen der Menschen zu stärken, müssen wir viel mehr über die Potenziale sprechen, die wir als Menschheit durch den Einsatz von KI entfalten können. Denn die häufig wiederholten Weltuntergangsszenarien stammen ja nicht zufällig von den immer gleichen, sehr reichen Tech-Firmenbossen, die seit Jahren an der KI-Front kämpfen und sich daran bereichern; sie wollen andere davon abhalten, mehr in KI zu investieren, um selbst mehr vom Kuchen abzubekommen. 

Sie zeigen im Buch neben möglichen Risiken die vielen Chancen auf, die KI bietet. Inwiefern kann KI unser Leben und unsere Gesellschaft und dabei drängende Probleme positiv beeinflussen oder lösen?

MARK BRINKMANN: Der Fachkräftemangel kann durch den Einsatz von KI gelindert werden. Insbesondere in der Software-Entwicklung wird die Effizienz der Programmierer deutlich steigen. Man wird sie mehr denn je brauchen, aber die Menschen schaffen im Zusammenspiel mit KI einfach mehr Code am Tag. Darüber hinaus erwarten wir, dass bei Automatisierungen im Industrieumfeld sehr viel Potential liegt sowie bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsideen.

KAI GONDLACH: Für viele vielleicht verwunderlich: Auch im Handwerk kann KI wahnsinnige Potenziale heben. Wer hat noch nie wochenlang auf einen Termin bei einem Handwerksbetrieb gewartet? Allein das Terminmanagement, viele Kommunikationsaufgaben, aber auch teilweise das Handwerk selbst kann von KI profitieren. Ob in der Backstube, dem Friseursalon oder der Dachdeckerei – überall sind Innovationen in der Entstehung. Gerade im Hinblick auf die Energiewende und den Wohnungsmangel ist das auch dringend nötig.

Im Bereich der KI kommt es auch auf dem Gebiet von Spatial Computing zu rasanten Fortschritten, Apple bringt eine neue AR-/VR-Brille auf den Markt. Was erwartet uns hier?

MARK BRINKMANN: Insbesondere bei der Wartung und Instandhaltung von Maschinen können mit Spatial Computing Arbeitskräfte eingesetzt werden, die keine Erfahrung haben, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Trotzdem: Technologie allein bringt nicht viel. Apple war nicht nur wegen Handys erfolgreich, sondern auch wegen ihres App-Stores, Stichwort Ökosystem. Was meinen wir damit? Auch für diese Brillen muss erstmal Software und KI programmiert werden, das bedarf wiederum Zeit und Investitionen. Das kann noch dauern... 

KAI GONDLACH: Hier wird vieles wieder in klassischer Silicon Valley-Manier heißer gekocht als es letztlich gegessen wird. Die AR-/VR-Brillen – wir schreiben im Buch ER, also Extended Reality – werden noch eine ganze Weile etwas für Geeks bleiben, die zudem noch das nötige Kleingeld mitbringen. Die Verbreitung wird sehr viel länger dauern als bei Smartphones, da sie keinen unmittelbaren Mehrwert für den Alltag der meisten Menschen bieten. Nur der Gaming-Sektor ist natürlich wieder einmal ein Magnet für die Innovationen.

Im Gegensatz zur Industriellen Revolution, von der alle mehr oder weniger profitieren konnten, egal ob Pionier oder nur Mitläufer, ist das bei KI anders, vor allem auf der professionellen Ebene. Wir sollten alle unsere AI Readiness erhöhen. Was bedeutet das für uns als Bürger:innen, aber auch als Arbeitskräfte?

MARK BRINKMANN: Um genau das zu verhindern, haben wir „KI jetzt!“ geschrieben. Das ist der perfekte Start. Darüber hinaus sollten wir anfangen, mit KI bewusst in Berührung zu kommen. Für uns ist es so wie damals als E-Mails anfingen (vielleicht nicht die beste Erfindung) oder noch früher die Verbreitung der Elektrizität; auch hier mussten die Menschen erst erlernen, wie das funktioniert. 

KAI GONDLACH: Ich würde widersprechen, dass „alle“ von der industriellen Revolution profitiert haben, zudem sind die Sozialsysteme zumindest hierzulande heute sehr viel besser auf die unweigerlichen Entlassungen vorbereitet. Man fällt weich und es herrscht Fachkräftemangel, sodass selbst diejenigen, die ihren Job an eine KI bzw. Menschen mit KI-Fähigkeiten verlieren, schnell reintegriert werden können, wenn sie möchten. Außerdem steigt der Bedarf nach Arbeitskräften in so vielen Bereichen, die gar nichts mit KI zu tun haben. Hier mache ich mir aus volkswirtschaftlicher Sicht wirklich überhaupt keine Sorgen. Wir sollten uns aber bewusst sein, dass diese Transformation ein gutes Jahrzehnt dauern wird und natürlich nicht ohne Ruckeln und die Auswirkungen auf die politische Meinungsbildung auskommen werden. Wehret den Anfängen!

Sie zeigen im Buch auf, dass es kaum Berufe gibt, die nicht von KI profitieren können. Viele Unternehmer:innen tappen dabei aber in Denkfehler, die Sie auch im Buch auflisten. Einer davon ist: Wir brauchen unbedingt eine Abteilung für KI! Angenommen, ich habe eine Buchhandlung und möchte beginnen, KI-Tools zu integrieren. Wie muss ich vorgehen?

MARK BRINKMANN: Der erste Schritt ist zu verstehen, wie mächtig ChatGPT oder Midjourney schon heute sind. Danach sollte man sich überlegen: Wie kann ich relevant bleiben? Das ist sicherlich eine Frage, die sich viele stellen müssen, insbesondere im Marketing-Umfeld. Es gibt aktuell schon einige Bücher, die per KI geschrieben wurden, da kann sich eine Buchhandlung gut positionieren, um hier „echte“ Bücher zu empfehlen.

KAI GONDLACH: Wir haben übrigens sehr bewusst auf den Einsatz von KI beim Schreiben verzichtet. Das ist außerdem eine der Kernerkenntnisse aus vielen Jahren KI-Forschung: Die KI-isierung führt in weiten Teilen dazu, dass menschliche Kernkompetenzen wie Kommunikation, Empathie, Originalität, Kreativität, etc. wieder wichtiger werden. Softskills von früher sind die Hardskills von morgen. Das gilt dann auch für die Buchhandlung, sie muss sich nur ein smartes Geschäftsmodell überlegen, wie sie durch Zusatzservices Geld verdienen kann – denn die Margen von Büchern geben das ohnehin seit Jahren nicht mehr her. Wie wäre es mit individuellen Büchern für unterschiedliche Geschmäcker, Sachbücher in Einfacher Sprache zum Beispiel oder mittelalterliche Romane im Schreibstil von Mareike Fallwickel? Das Ganze dann in einer selbst entwickelten App, die natürlich erst einmal eine Investition bedeutet, sich aber mit einem guten Geschäftsmodell mit hoher Wahrscheinlichkeit schnell amortisieren kann, siehe Blinkist und Co.

Welche durch KI ausgelösten Veränderungen können Sie sich im Buchhandel und im Verlagswesen in den nächsten Jahren vorstellen? Was kommt auf uns zu?

MARK BRINKMANN: Langfristig wird es bestimmt spannend zu sehen, ob es individualisierte Bücher geben wird. Bis dahin sollte man sicherlich verstehen, was die KI kann bzw. welche Fähigkeiten sie haben wird. Die Geschwindigkeit ist hier allerdings gerade extrem schnell. Daher wird definiert, ob Buchhandlungen auch dem DVD-Effekt zum Opfer fallen werden...

KAI GONDLACH: Durch den Verkauf von Büchern ist noch niemand reich geworden, außer vielleicht Jeff Bezos. Je nach Größe und Lage können die Händler:innen mit unterschiedlichen Dingen punkten, da gibt’s kein Patentrezept, außer vielleicht eine ausgewogene Mischung aus Sortiment, Beratung und Service. Aber das ist zu unkonkret, um hilfreich zu sein. Ein guter Start wäre vielleicht die Lektüre unseres Buchs.

Welche Risiken könnten auftreten und gibt es schon jetzt Maßnahmen, mit denen man vorbeugen kann?

MARK BRINKMANN: Unechte Berichte oder Videos sind eine große Stolperfalle. Schon heute ist es möglich, verdammt gute Videos zu kreieren, und das wird in naher Zukunft von fast jedem machbar sein. Massen-KI-Fakes und -Betrug sind hier die Stichworte und längst Realität. Dafür braucht es gute Werkzeuge, die diese erkennen und kennzeichnen. Darüber hinaus müssen wir auf europäischer Ebene daran arbeiten, nicht hinter den USA und China zurückzufallen. Investitionen und auch eine Startup-fördernde Politik sind hier von hoher Wichtigkeit. 

KAI GONDLACH: Da stimme ich komplett zu. Eine Idee wäre es, Startups in bestimmten Segmenten fünf Jahre steuerfrei zu stellen und den Zugang zu einer Cloud-Infrastruktur bis zu einem gewissen Wachstum zu subventionieren. Es gibt so viele gute Ideen da draußen, aber die Leute haben keine Anreize außer der Unabhängigkeit; sie sehen vor allem die bürokratischen Hürden und gründen dann nicht. Das scheint politisch hingenommen zu werden, denn die Hebel in die Gegenrichtung sind bekannt.

Auf welche Innovation freuen Sie sich persönlich am meisten, wenn Sie Ihre Gedanken spielen lassen und auf die Zukunft der KI blicken?

MARK BRINKMANN: Im medizinischen Umfeld erwarten wir sehr viele Durchbrüche, angefangen bei der Anamnese über individuelle Medikamente hin zu optimierter Chirurgie. 

KAI GONDLACH: Konkret heißt das, es wird in einigen Jahrzehnten schlimme Krankheiten wie Diabetes, Krebs oder Multiple Sklerose einfach nicht mehr geben. Habe ich Kopfschmerzen, erhalte ich ein anderes Medikament als Sie. Deutet sich ein Herzinfarkt an, meldet meine persönliche KI das unmittelbar dem Rettungsdienst, das wäre im Übrigen heute schon möglich, wird aber unter anderem aus Datenschutzgründen nicht oder kaum umgesetzt. Einige Menschen werden Kopien ihrer Organe in einer Datenbank haben, die künstlich erzeugt wurden und dort auf ihren Einsatz warten, falls Herz, Leber oder Lunge mal den Dienst versagen sollten. Auf politischer Ebene hoffe ich vor allem darauf, dass bestimmte Entscheidungen nicht mehr von Menschen getroffen werden, da sie zu oft ihrer eigenen Agenda und ihrer Lobby verpflichtet sind und dementsprechend handeln. Aber bis dahin ist noch ein weiter Weg zu gehen. Auch hier gilt wieder: Wir brauchen vertrauenswürdige KI-Lösungen, und in einer Demokratie brauchen dafür alle Menschen KI-Grundlagenwissen, um den Prozess zu beschleunigen.

Über die Autoren

Mark Brinkmann ist eine erfahrene Führungskraft in der Schwarz IT. Als Teil einer der weltweit führenden Handelsgruppen betreut die Schwarz IT die gesamte digitale Infrastruktur und alle Softwarelösungen der Unternehmen der Schwarz Gruppe , zu denen Lidl, Kaufland, die Schwarz Produktion und PreZero gehören. In seiner Funktion trägt er die Verantwortung für Themen rund um Künstliche Intelligenz (KI). Dabei liegt sein Fokus auf der Entwicklung und Umsetzung von innovativen KI-Lösungen, die auf verschiedenen Technologien wie Natural Language Processing (NLP), generative KI, Computer Vision, Sensor Fusion und prädiktiven Technologien basieren.

Durch seine Expertise im Bereich der KI und die Anwendung im Arbeitsalltag treibt er aktiv den technologischen Fortschritt der Unternehmen der Schwarz Gruppe voran. Seine Arbeit ermöglicht es den Unternehmen der Schwarz Gruppe, sich weiterhin als Vorreiter in der Branche zu positionieren und den stetig wachsenden Anforderungen des Marktes gerecht zu werden.

Kai Gondlach ist Inhaber des Leipziger Zukunftsinstituts PROFORE und zählt zu den bekanntesten Zukunftsforschern in Deutschland. Im Rahmen seiner beeindruckenden Publikationstätigkeit als Autor bereichert er die Fachwelt durch wegweisende wissenschaftliche Fachartikel, Zeitungsbeiträge und praxisnahe Ratgeber. Als visionärer Leiter des Zukunftsinstituts konzipiert er wirkungsvolle Zukunftsstrategien für vielfältige Unternehmen sowie öffentliche Institutionen und befähigt diese, eigenständige Zukunftsforschung zu betreiben.
Die Ergebnisse seiner Forschungs- und Beratungsarbeit fließen in seine inspirierenden Keynote-Vorträge ein, die alljährlich ein breites Publikum von rund 10.000 TeilnehmerInnen erreichen. Kai Gondlachs Expertise ist ein unverzichtbarer Kompass für jene, die sich in einer sich stetig wandelnden Welt orientieren und erfolgreich agieren möchten.

Bildquelle:  ucelyilmaz / istockphoto.com