„Noch fehlt uns die Vorstellung von der künftig smart vernetzten Arbeitswelt“,
meint Trendforscherin Birgit Gebhardt. Im Interview spricht sie über den radikalen Umbruch, in dem sich unsere Lebens- und Arbeitswelt befindet, und über die Zukunftsbilder, die sie in ihrem neuen Buch „Future Pics“ entwirft.
Mit „Future Pics“ zielen Sie explizit auf neue Bilder von unserer zukünftigen Lebens- und Arbeitswelt ab. Warum?
Rein akustisch könnte man unter dem Buchtitel „Future Pics“ auch Future Pigs, also ‚Schweine im Weltall’ verstehen. (lacht) Aber nein: Es geht mir tatsächlich um das Big Picture als lebendige Vorstellung von der Zukunft. Die Assoziationen zur Arbeitswelt sind meist stark von der Industrialisierung beherrscht, technologisch oder Science-Fiction-mäßig mit Robotik oder Big-Brother-Phobien überfrachtet und beim Stichwort ‚digitale Transformation’ sogar oftmals ganz ohne Vorstellung. Dabei wäre es doch essenziell wichtig, zu verstehen, wie human diese Arbeitswelt funktionieren, wie intuitiv wir darin lernen und wie natürlich sich smarte Unterstützung anfühlen könnte.
Wie wird die Zukunft denn aussehen? Wie wird sich Arbeit künftig anfühlen?
Weniger technisch, als wir heute glauben. Weil wir in Zukunft endlich den Menschen in den Mittelpunkt stellen können. Die Künstliche Intelligenz ist so weit, dass sie uns kennenlernen kann, also sollten wir uns nicht länger wie Maschinen verhalten, sondern die humanen Unterschiede herausstellen. Dabei wird uns die umgebende Systemintelligenz helfen, besondere Eigenschaften zu erkennen, individuelle Bedürfnisse zu bedienen und physische wie mentale Defizite zu kompensieren. Wir können erstmals inklusiv und divers zusammenleben, lernen und arbeiten. Es muss nicht länger die Standards einer Massengesellschaft und benachteiligte Randgruppen geben, weil wir diese industriellen Zwänge jetzt digital und smart überwinden können. Wir können nicht mehr nur Quantitäten messen und monetarisieren, sondern auch Qualitäten sensorisch erfassen und berücksichtigen.
‚In der Industrialisierung war der Mensch eine Arbeitskraft neben der Maschine’, resümiert die Protagonistin Xiao Yan im Buch und bemerkt: „In Zukunft sind wir die Natürliche Intelligenz neben der Künstlichen.“ War das Ihr Leitmotiv für die Arbeitswelten, die Sie beschreiben?
Ja. Genau das ist die eigentliche Veränderung, und eben diese erfordert eine neue Perspektive – weg von den Ordnungsmustern der Technokratie, hin zur Entwicklung des Lebendigen. Das Bürogebäude bildete mit seinen Abteilungen von der Anlage her die Arbeitsteilung der Fabrik ab, und der Bildschirmarbeitsplatz ist noch heute das maßgebliche Standardmodul für die Planung. Die Fragen der alten Arbeitswelt sind:
- Wie viele Arbeitskräfte bekomme ich auf die Fläche? Wie erhöhe ich die Flexibilität für veränderte Belegschaften und Nutzungen?
- Wie senke ich die Kosten in der Bewirtschaftung?
Alles dreht sich unter diesen Rahmenbedingungen um die Effizienz der Immobilie, des Betriebs oder der Organisation. Nicht aber um die Effektivität der Nutzer.
Dank Digitalisierung könnten wir aber individuelle Qualitäten in Betracht ziehen. Wie schon gesagt: In Zukunft sind wir die Natürliche Intelligenz neben der Künstlichen. Die Arbeitswelt muss damit nicht mehr Prozesse organisieren, sondern Menschen zum Wissensaustausch und Lernen motivieren. Das heißt: Zusammenhänge abbilden, Komplexität über Simulationen verständlich machen und uns bei der Zielerreichung individuell triggern und emotional unterstützen. Die Fragen zur Gestaltung dieser Arbeitswelt müssten also lauten:
- Was arbeiten Menschen eigentlich in Zukunft?
- Wie interagieren wir mit Maschinen, Medien und miteinander?
- Wie lernen humane Wesen, was motiviert uns?
- Wer oder was führt oder befähigt uns?
- Wie erweitern sich unsere Vorstellungs- und Handlungsräume in parallelen Welten?
- Welche Entwicklungschancen bieten sich mir individuell jetzt und hier, morgen und in Zukunft?
Ihre skizzierten Arbeitswelten sind recht ungewöhnlich: Mal ist da ein Erlebnispark, mal ein Gutshof, mal eine Klosteranlage, mal eine Schule im Dschungel – taugen diese Bilder wirklich als neue Arbeitsorte?
Ja, das glaube ich aufgrund meiner vorherigen Studien. Ich habe die Arbeitswelten hier aber etwas überspitzt dargestellt, um für jede Herausforderung ihren Mehrwert zu verdeutlichen. Die im Buch skizzierten Arbeitswelten sind nicht primär als Büro oder Bildungsinstitution erdacht (wie wir das heute bautypologisch tun), sondern wurden konsequent aus dem Geschäftsmodell oder dem beabsichtigten Arbeitsstil heraus gestaltet.
In dem Erlebnispark involviert ein Tourismuskonzern seine Mitarbeiter, Zulieferer und Endkunden miteinander und erprobt mit ihnen neue Angebote inmitten eines umgebauten Shoppingcenters in der Innenstadt.
Der ländliche Gutshof ist eine Ideenbrutstätte, die alte Werkstätten in Fab-Labs verwandelt und die Attraktivität des ländlichen Raumes über unterschiedliche Dynamiken und Wohlfühlrituale in die kreative Zusammenarbeit miteinbezieht.
Beim Kloster geht es eher um ein strukturiertes Tagwerk, wie es dort bestmöglich jeweils nur in Bewegung oder Ruhe an unterschiedlichen Orten, im Garten, im Wandelgang, in der Kammer oder Kathedrale, in Klausur oder Gemeinschaft getan werden konnte. Dieser Zusammenhang zwischen innerer Absicht und äußeren sozialen und territorialen Faktoren beflügelt nicht nur die Tätigkeit selbst, er schafft ihr auch einen kulturellen Rahmen, der – auch ohne Glauben – größer ist als die Arbeit oder der Einzelne selbst.
Und bei der Schule im Dschungel spiele ich auf die balinesische Green School und deren Ibuku-Architektur an, mit der ich für eine naturnahe Bauweise und Lebensform – auch in Bezug auf Arbeitswelten – sensibilisieren möchte.
Warum legen sie so viel Wert auf die räumliche Umgebung?
Weil jeder Mensch mit seiner Umgebung interagiert und auf seine Umgebung reagiert. So lernen wir die Welt kennen und uns darin zurechtzufinden. Nur die physische Umgebung adressiert alle Sinne unserer Wahrnehmung. Hinzu kommen erweiterte Sinne über vernetzte Medien wie Navigation oder Simulation. Mit ihren Informationen erweitern sie unseren biologischen Vorstellungs- und Handlungsraum zusätzlich. Der Raum, in dem wir uns bewegen oder wo unsere Vorstellung uns hinführt, ist für das menschliche Lernen und (Selbst-)Verständnis enorm wichtig.
Mehr und mehr verweben wir digitale Daten mit den Oberflächen und machen Dinge und Umgebungen schlau. Aber neben dieser funktionalen Ebene sollten wir auch wissen, was wir an den äußeren Eindrücken wie umgestalten möchten, damit es unserer Befindlichkeit und natürlichen Intelligenz dienlich ist. Menschen reflektieren alles Neue in ihrer Umwelt vor dem Hintergrund ihrer Erinnerungen, Erfahrungen und Emotionen. Die Bewertungsinstrumente reichen vom evolutionären Gedächtnis als vererbte Anlage unserer Vorfahren bis zur augenblicklichen Gemütsverfassung. Heißt: Wir brauchen attraktive Bilder und vertraute Assoziationen für unseren physischen Resonanzraum und wir sollten diesen so multisensuell gestalten, dass er uns als humane Wesen inspiriert, unseren Geist bewegt, fordert und fördert.
Müsste nicht jeder Mensch viel mehr über sein Lernverhalten selbst wissen?
Ja. Definitiv! Wir programmieren die KI, aber wissen wenig über unser natürliches Lernen. Tatsächlich funktioniert dieses wesentlich komplexer und ist durch zahlreiche äußere und innere Faktoren beeinflusst. Weil aber die Wechselwirkung zwischen der inneren Befindlichkeit und den äußeren Einflüssen über unsere Sinne geschieht, wissen wir eigentlich schon, wo wir den Trigger ansetzen müssen. Deswegen spielen meine Bilder alle mit vertrauten Assoziationen, die lediglich im Kontext „Moderne Arbeitswelt“ neu erscheinen. Es ist wichtig, dass wir uns von den alten Bildern aus der Maschinenwelt verabschieden, weil sie uns limitieren. Wir müssen kulturell neu und menschenzentriert denken, um die kommenden Potenziale voll ausschöpfen zu können.
Headerbild: Deloitte Unternehmenssitz ‚The Edge’ in Amsterdam. Architektur: PLP Architecture; Foto: B. Gebhardt
Über den Autor
Birgit Gebhardt ist Trendforscherin mit Schwerpunkt „Zukunft der Arbeitswelt“. Die ehemalige Geschäftsführerin des Hamburger Trendbüros führt Entwicklungen zu plausiblen Vorstellungen von Zukunft zusammen. Seit 2012 erforscht sie neue Modelle des vernetzten Wirtschaftens und Arbeitens und berät branchenübergreifend Kunden auf dem Weg in die New-Work-Order, deren Chancenfelder sie in den gleichnamigen Studien beschreibt. Als Impulsgeberin berät sie Unternehmen wie Beiersdorf, Lufthansa, Swisscom, UBS oder XING auf dem Weg in die vernetzte Arbeitskultur und unterstützt bei der Konzeption neuer Arbeitswelten. Das Metier der Trendforschung erlernte die diplomierte Innenarchitektin und gelernte Journalistin in zwölfjähriger Beratungstätigkeit im Trendbüro Hamburg, dem sie von 2007 bis 2012 als Geschäftsführerin vorstand. Seit 2012 forscht sie unter eigenem Namen, besucht Pioniere weltweit und verdichtet ihre Erkenntnisse in ihren „New-Work-Order“-Studien, die sie im Auftrag des IBA (Industrieverbands Büro- und Arbeitswelt e.V.) erstellt. Birgit Gebhardt war von 2012 bis 2015 Mitglied der Expertenkommission der Bertelsmann-Stiftung mit dem Fokus „Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland“. Sie ist Mitglied des Münchner Kreises, des „New Work“ Ideenlabors von XING sowie im wissenschaftlichen Beirat der Liechtensteinischen Stiftung Zukunft.li.