Unsere Welt wird in einem rasanten Tempo immer digitaler und vernetzter, immer schneller und komplexer. Kein Wunder – die Informationsmenge, die uns zur Verfügung steht, wächst exponentiell. Es ist also mehr und mehr zu einer echten Herausforderung geworden, über den Tellerrand hinaus zu blicken, sich gleichzeitig nur mit relevanten Informationen zu beschäftigen und dabei auch den Überblick zu behalten. Die Informationen nicht nur in Silos zu speichern, sondern über Mediengrenzen hinweg miteinander zu verbinden, scheint gerade zu unmöglich.
Die Personalentwicklung steht dabei vor einer besonderen Herausforderung: Sie ist das Bindeglied zwischen Produktivität und Zufriedenheit auf allen Seiten. Sie muss also auf der einen Seite bei Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen genau die Weiterentwicklung fördern, die das Unternehmen in Zukunft brauchen wird, und auf der anderen Seite die Belegschaft so begeistern, dass sie diesen Weg auch mitgehen will.
„Ein persönliches Wiki macht es uns einfach, aus aufgenommenen Informationen neue Ideen zu entwickeln.“
Warum ein persönliches Wiki?
Ein persönliches Wiki kann nicht nur dabei helfen, den Überblick zu behalten, sondern auch Informationen über Silogrenzen hinweg miteinander zu verbinden, zu vergleichen, weiterzudenken und neue Ideen zu entwickeln. Am einfachsten ist es, ein eigenes, persönliches Wiki zu führen und dieses optional punktuell mit Kollegen und Kolleginnen zu teilen. Ein Team-Wiki dagegen erfordert auf allen Seiten eine ungeheure Disziplin, damit aus dem Wiki kein Datenfriedhof wird.
Doch worum geht es genau? Angelehnt an Niklas Luhmanns Zettelkasten ist das persönliche Wiki eine Datenbank mit allen Informationen, die jemand für persönlich relevant erachtet. In einzelnen Textdateien werden möglichst kleine Informationen aufgenommen, die dann weitergedacht und miteinander verknüpft werden können. Daraus entstehen neue Ideen und wir haben die Möglichkeit, Lücken und Potenziale zu erkennen.
Der Weg, über den wir bisher Informationen aufnehmen und verarbeiten, bietet zwei große Fallstricke:
1. Fehlende Schlussfolgerungen
Wenn wir heute ein Fachbuch lesen, finden wir darin viele Ideen, die wir als so relevant ansehen, dass wir sie aufschreiben möchten. Das Problem ist, dass wir damit dem Gedankenfluss des Menschen folgen, der dieses Buch geschrieben hat. Lesen wir also von Idee A und gleich darauf von Schlussfolgerung B, ist dies schnell der einzige Gedanke und die einzige Verknüpfung, die wir abspeichern. Ob es noch weitere mögliche Schlussfolgerungen gibt, fragen wir uns wohl nur in Ausnahmefällen. In unserem persönlichen Wiki dagegen nehmen wir Idee A und Schlussfolgerung B getrennt voneinander auf und verknüpfen sie miteinander. Damit fällt es uns leichter, Fragen zu stellen, zum Beispiel die Frage nach weiteren Schlussfolgerungen. Der individuelle Fragenkatalog, den wir im Aufbauprozess erstellen, macht uns die Arbeit zusätzlich leichter. Das ist das Prinzip der „Atomic Note.“
2. Fehlende Verknüpfungen
Die Notizen zu dem anfangs genannten Fachbuch machen wir uns heute in der Regel in einem Buch oder auf einem Blatt in unserem virtuellen Notizbuch. Es entsteht ein Informationssilo, der als Überschrift den Buchtitel trägt und alle Ideen beinhaltet, die wir in diesem Buch gefunden haben. Mit der Zeit entstehen so viele einzelne Silos, alle definiert und benannt durch die Form, in der wir sie aufgenommen haben – alle haben Namen von Büchern, Podcasts, Events oder Weiterbildungen. Informationen zwischen diesen Silos auszutauschen, sie miteinander zu verbinden oder zu vergleichen und aus diesen Verknüpfungen weitere Ideen zu entwickeln, fällt uns so unglaublich schwer.
In unserem persönlichen Wiki liegen deswegen alle Informationen auf der gleichen Ebene. Auch wenn wir die Möglichkeit haben, in einer guten Software durch Tags oder Stichworte und flüchtige Ordner eine augenscheinliche Sortierung zu erreichen, sind die Silos aufgehoben und die Informationen miteinander verknüpfbar. Das ist das Prinzip „alles an einem Ort.“
Unter dem Motto „Unleash Your Genius“ verhilft Stephanie Selmer Unternehmern und Unternehmen dazu, durch ein gut strukturiertes Wissens- und Kommunikationsmanagement schlummernde Potenziale zu wecken.
Drei Schritte zum „Second Brain“
Ein persönliches Wiki lässt sich in drei einfachen Schritten aufbauen:
1. Informationen selektieren
Die Qualität der Informationen, die in das persönliche Wiki einfließen, ist maßgeblich verantwortlich für die Qualität des Wikis selbst und der Ideen, die daraus entstehen. Deswegen ist es nicht nur wichtig, richtige und relevante Informationen aufzunehmen, sondern auch fremdes Wissen zu eigenem zu machen. Dafür müssen wir die sogenannte „Competence Illusion“ überwinden: wenn wir beispielsweise einen Text lesen und den Gedankengängen des Autors oder der Autorin folgen, haben wir häufig das Gefühl, die Hintergründe verstanden zu haben. Aus diesem Grund können wir ganze Bücher lesen und währenddessen das Gefühl haben, alles zu verstehen, im Nachhinein können wir jedoch nicht mehr genau sagen, was wir da überhaupt gelesen haben. Dass wir auf die Kompetenzillusion hereingefallen sind, wird oft erst dann sichtbar, wenn wir versuchen, diese Inhalte wenigstens mit unseren eigenen Worten wiederzugeben. Wir nutzen dann die Formulierungen und Beispiele, die wir gelesen haben, und können Emotionen nicht so weitergeben, wie wir selbst sie erfahren haben.
2. Informationen aufnehmen
Nach dem Prinzip der „Atomic Notes“ nehmen wir jede Idee einzeln in unser Wiki auf. Keine Sorge vor großen Zahlen: auf diese Weise können zu einem guten Fachbuch schon mal gut und gerne 100 einzelne Textdateien entstehen. Das Gute ist, dass wir in der richtigen Software all diese kleinen Informationen mit einer Quelle und mit Tags versehen können. So können wir immer nachvollziehen, aus welchem Buch wir welche Informationen gezogen haben, und können auch später noch die Inhalte aus einem Buch zusammenstellen, die wir als relevant angesehen haben.
Damit wir auch später schnell arbeiten können, ist es wichtig, dass wir alle Informationen nach dem gleichen Muster aufnehmen. Der Aufbau der Notiz soll in Grundzügen immer der gleiche sein.
Mein persönlicher Aufbau sieht so aus:
- Als erstes führe ich die Kernidee aus. Ich beschreibe also mit meinen eigenen Worten, was ich in diesem Buch gelesen habe.
- Im nächsten Schritt habe ich einen Platzhalter für weitere Ausführungen, falls diese Kernidee überhaupt welche braucht.
- Danach folgen Fragen, die ich in meinen Standard-Fragenkatalog aufgenommen habe. Für die Beantwortung jeder Frage habe ich so einen Platzhalter, den ich jedoch nicht ausfüllen muss.
- Erst ganz zum Schluss folgen die Quelle und Tags. Denn die Quelle brauche ich erst, wenn ich beim späteren Lesen der Kernidee erkannt habe, dass ich mit der Notiz überhaupt weiterarbeiten möchte. Dann lohnt sich auch das Herunterscrollen.
3. Informationen verknüpfen
Der besondere Clou des persönlichen Wikis ist die Möglichkeit, die Informationen zu vernetzen. Wie wir es von Wikipedia kennen, wollen wir Links zu einer Information in andere Einträge einbetten.
Solche Verknüpfungen können zufällig entstehen, und das ist wahrscheinlich häufiger der Fall, als man anfangs denkt. Mit solchen zufälligen Verknüpfungen meine ich den berühmten Gedankenblitz unter der Dusche. Wir beschäftigen uns unterbewusst mit einer Information weiter und irgendwann, wenn wir etwas ganz anderes tun, kommt uns eine Idee.
Doch wollen wir uns auf solch zufällige Verknüpfungen allein nicht verlassen. Wir brauchen deshalb einen individuellen Standard-Fragenkatalog, den wir immer wieder bemühen.
Ich persönlich habe unter anderem folgende Fragen in meinem Katalog:
- Wie kam es dazu? – Mit dieser Frage betrachte ich, welche wissenschaftlichen Strömungen oder zeitlichen Begebenheiten dazu geführt haben, dass etwas ist, wie es ist.
- Woran erinnert mich das? – Mit dieser Frage suche ich nach Zusammenhängen, die früher siloübergreifend gewesen wären.
- Dabei denke ich sofort an… – Mit diesem Satz kann ich Personen, Organisationen und andere Informationen suchen, also nach mehr als reinem Wissen.
Wie solche Fragen weitere Gedankengänge anstoßen können, möchte ich anhand eines kurzen Beispiels zeigen:
Stellen Sie sich vor, Sie haben in Ihrem persönlichen Wiki eine Karte zum Thema NLP – Neurolinguistisches Programmieren angelegt. Mit Ihrem Fragenkatalog kommen Sie auf den Gedanken:
„Wie kam es dazu, dass NLP erfunden wurde?“. Das finden Sie so spannend, dass Sie recherchieren und herausfinden:
„Zu der Zeit gab es eine wachsende Kritik an den traditionellen psychotherapeutischen Ansätzen und ein Interesse an neuen, effektiveren Methoden zur persönlichen Entwicklung und Veränderung.“
Aus dieser einen Antwort ergeben sich mit etwas Übung gleich wieder einige neue Fragen:
- Welche psychotherapeutischen Ansätze standen in der Kritik und warum?
- Was machte NLP zu einer effektiveren Methode?
- Welche Ansätze stehen heute in der Kritik?
- Was müsste eine neue Methode bieten, um dieses Problem zu lösen?
Ihnen fallen bestimmt noch weitere Fragen ein.
Ein Fallbeispiel der Personalentwicklung
Sandra ist Personalentwicklerin in einem großen mittelständischen Unternehmen mit etwa 400 Mitarbeitenden. Ihr Schwerpunkt ist die Entwicklung von Nachwuchsführungskräften.
Sandra merkte, dass für sie all die theoretischen Modelle und die praktischen Erfahrungen kaum noch zueinander zu bringen waren. Daraus ließen sich in der Theorie mehr Ableitungen schließen, als sie im Kopf oder in ihren Notizen abbilden konnte.
Als sie sich an mich wandte, wünschte sie sich eine „Landkarte“. Sie begann damit, Theorien und Fachwissen aufzunehmen und ihren persönlichen Fragenkatalog zu entwickeln. Damit fiel es ihr zunehmend leicht, von den Theorien Rückschlüsse auf ihre praktische Arbeit zu ziehen.
Mit der Zeit nahm sie immer großflächiger Informationen auf, bis hin zu Verlinkungen zu Profilen von Mitarbeitenden, Workshopbeschreibungen oder Bewertungen. Derzeit ist sie dabei, aus den Workshopbeschreibungen und den Bewertungen Ableitungen zu ziehen, für wen in der Organisation welche Weiterbildung noch sinnvoll sein könnte.
In einem späteren Schritt will sie langfristige Entwicklungspfade nachvollziehen und replizieren können.
Wie Sandra kann es auch Ihnen gelingen, sich mit einem persönlichen Wiki eine Wissensdatenbank anzulegen, in der Sie nicht nur alle für Sie relevanten Informationen sinnvoll und jederzeit verfügbar abspeichern, sondern die Sie auch befähigt, Ihre Themen und Herausforderungen neu zu hinterfragen, um in kreativer Gedankenarbeit Schritt für Schritt für Ihr Unternehmen perfekt passende Weiterbildungsprogramme zu schaffen.
Software-Empfehlung
Während Niklas Luhmann seinen Zettelkasten noch klassisch auf Papier führen musste, steht uns heute eine Vielzahl an Programmen zur Verfügung. Letztendlich ist ein persönliches Wiki mit jeder Software umsetzbar, die es zulässt, Links zu einzelnen Elementen zu erstellen.
Gängige Programme dafür sind Microsoft OneNote oder Evernote.
Ich persönlich nutze und empfehle Obsidian – eine kostenlos verfügbare Software, die ohne großen Aufwand einzurichten und bei Bedarf durch Themes und Plugins individualisierbar ist. Man hat die Möglichkeit, eigene Templates anzulegen, alle Verknüpfungen als Graphen anzeigen zu lassen oder sein Wiki mit einer KI zu verbinden.
Letztendlich hat Obsidian mich jedoch dadurch überzeugt, dass es alle meine Notizen auf einen lokalen Speicherplatz meiner Wahl legt. Ich habe also jederzeit Zugriff auf meine Daten, auch wenn das Programm nicht mehr angeboten werden würde.
Dieser Artikel erschien zuerst in „LERNRAUM – Magazin für Training und Personalentwicklung“.
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Über die Autorin
Stephanie Selmer, seit über zwölf Jahren als Change-Beraterin selbstständig tätig, entwickelt individuelle Kommunikationskonzepte für ihre Kunden. Als systematische Teamentwicklerin und Scrum Master führt sie außerdem Projekt- und Change Communication Teams zu einer effektiven Zusammenarbeit.
Bildquelle: Exzellente Lernorte