In Momenten, in denen wir unter Druck geraten, werden wir zeitweise blind für die Gefühle anderer. Wir erkennen nicht mehr treffsicher, wie sich unser Gegenüber fühlt. Dies gilt auch für Menschen, die unter normalen Bedingungen über hohe empathische Fähigkeiten verfügen. Für alle, die darauf angewiesen sind, auch unter Druck die Gefühle anderer richtig einzuschätzen, ist das eine wichtige Erkenntnis.
Stress blockiert empathische Fähigkeiten
Auch in professionellen Verhandlungen oder Konfliktgesprächen kann aufkommender Stress unsere empathischen Fähigkeiten blockieren. Wollen wir jedoch wirkungsvoll verhandeln oder einen Konflikt schlichten, sind wir darauf angewiesen, die Emotionen unserer Gesprächspartner richtig einzuschätzen. Umso fataler, wenn gerade diese Fähigkeit im entscheidenden Moment gehemmt wird.
Die folgenden zwei Impulse aus der Emotions- und Mimikforschung sind für Ihren Erfolg in Verhandlungen besonders hilfreich. Denn durch das bewusste Wissen um diese zwei Punkte und ein gezieltes Training können Sie auch unter Stress Ihre Fähigkeit, die Gefühle anderer richtig einzuschätzen, bewahren und sogar ausbauen.
Tipp 1: Achten Sie auf besonders schnelle Bewegungen in der Mimik
In den 1960er-Jahren machten die beiden Psychologen Ernest A. Haggard und Kenneth S. Isaacs eine bemerkenswerte Entdeckung. Die beiden schauten sich in Zeitlupengeschwindigkeit auf Video aufgezeichnete Psychotherapie-Sitzungen an, um Hinweise für eine nonverbale Kommunikation zwischen Therapeut und Patient zu finden. Es war mehr Zufall als Absicht, als sie dabei auf sehr schnelle Gesichtsausdrücke bei Patienten stießen, die gerade mal eine Dauer von 125 bis 200 Millisekunden hatten. Begeistert und fasziniert von ihrer Entdeckung, verwarfen Haggard und Isaacs ihre Ausgangsidee und beforschten die gerade entdeckten Mikroexpressionen weiter. Sie stellten fest, dass diese in der Regel Inkongruenzen ausdrückten, das heißt, in Situationen auftauchten, in denen der verbale Inhalt des Gesagten der Botschaft der Mikroexpression widersprach. Der Patient sagte also zum Beispiel, dass er jemanden sehr mochte, zeigte dabei aber eine Mikroexpression von Ärger im Gesicht.
Dass sich Inkongruenzen in Form von Mikroexpressionen gerade im Gesicht zeigen, ist kein Zufall. Denn an keinem anderen Körperbereich werden Emotionen so deutlich und konkret wie im Gesicht. Einer der Hauptgründe dafür ist, dass unsere mimische Muskulatur direkt mit unserem limbischen System, unserem Emotionszentrum, „verdrahtet“ ist. Heute, rund 55 Jahre nachdem Haggard und Isaacs die Mikroexpressionen entdeckt haben, ist die Mimik der am besten beforschte Bereich im Gebiet der nonverbalen Kommunikation. Von vielen Menschen wird die Mimik als Informationsquelle aber immer noch vernachlässigt. Gerade wenn es um die teilweise sehr schnellen und feinen Bewegungen in Form von Mikroexpressionen geht. Diese werden häufig übersehen. Viele ahnen noch nicht einmal, dass es sie gibt.
Fazit: Achten Sie besonders auf sehr schnelle und feine Bewegungen in der Mimik (Mikroexpressionen). Diese geben Ihnen Aufschluss über unbewusste Gefühle und emotionale Einwände. Direkt vom limbischen System ausgelöst, entziehen sich Mikroexpressionen unserer bewussten Kontrolle.
Tipp 2: Achten Sie auf Einwandsignale in der Mimik
Es gibt sieben klare Signale in der Mimik eines Menschen, die signalisieren, dass er einen Einwand hat. Wenn Sie in Verhandlungen nach Mikroexpressionen Ausschau halten, achten Sie also insbesondere auf diese sieben Bewegungen. (Siehe Balken unten) Wenn sie Ihnen bewusst sind, können Sie Widerstände und Einwände auch unter Stress besser erkennen und somit frühzeitig berücksichtigen.
Der angemessene und zielführende Umgang mit Einwand-Signalen
Generell gilt für alle hier aufgeführten Signale: Neben der Bewusstheit darüber, dass Körpersprache und Mimik uns nur Hinweise auf den Zustand eines Menschen geben können und es sich dabei niemals um Beweise handelt, gibt es noch einen anderen wichtigen Punkt. Dies ist die Erkenntnis, dass uns die Mimik nie verrät, warum ein bestimmtes Gefühl auftritt. Ein Gefühl von Ablehnung zum Beispiel kann durch etwas ausgelöst werden, das ein Mensch direkt in seiner Außenwelt wahrnimmt oder auch durch eine innere Wahrnehmung, wie einen Gedanken oder eine Erinnerung.
Wodurch wurde der Widerstand ausgelöst?
Beobachten Sie also ein nonverbales Einwand-Signal, gilt es im nächsten Schritt herauszufinden, wodurch der Widerstand ausgelöst wurde. Zum Beispiel, indem Sie wertschätzend nachfragen oder Ihre Beobachtung durch eine Spiegel-Aussage verbal rückkoppeln. Ihr Gesprächspartner zieht zum Beispiel die Augenbrauen zusammen und Sie sagen: „Sie runzeln gerade die Stirn.“ Beachten Sie, dass es sich bei Spiegel-Aussagen nicht um Fragen handelt. Wir fragen also nicht „Runzeln Sie gerade die Stirn?“, sondern nutzen die Aussage als Spiegel des Beobachteten. Dieser Unterschied erhöht enorm die Wahrscheinlichkeit, dass ein konstruktiver Dialog in Gang gebracht wird. Spiegel-Aussagen haben gegenüber normalen Fragen einen erheblichen Vorteil: Sie bringen unseren Gesprächspartner innerlich zum Nicken und damit halten sie das Gespräch auf der emotionalen Ja-Straße. Dies ist sowohl für die Beziehungsbasis wichtig als auch förderlich dafür, dass Ihre Argumente den anderen erreichen. Wenn eine Spiegel-Aussage sehr ungewöhnlich klingt und damit nicht praxistauglich ist – wie zum Beispiel „Sie pressen gerade den Mundwinkel nach innen.“ –, dann hinterfragen Sie einfach wertschätzend die Gefühle: „Wenn ich es richtig sehe, haben Sie noch Zweifel. Darf ich fragen, woran Sie zweifeln?“ In manchen Situationen in einer Verhandlung kann es natürlich aber auch angemessen sein, die Privatsphäre der Person zu wahren.
Fazit: Achten Sie während einer Verhandlung auf die unten im Balken abgebildeten mimischen Ausdrücke, um Einwände Ihrer Gesprächspartner frühzeitig zu erkennen. Reagieren Sie auf diese Signale wertschätzend mit einer Spiegel-Aussage.
Trainieren Sie im Alltag
Wenn Sie damit beginnen, in Gesprächen auf die Mimik und Mikroexpressionen Ihres Gegenübers zu achten, werden Sie anfänglich wahrscheinlich nur noch sehr wenig vom eigentlichen Inhalt der Unterhaltung mitbekommen. Trainieren Sie deshalb Ihre Wahrnehmung vorerst in Situationen, die eher unwichtig sind. Zum Beispiel, wenn Sie nicht aktiv am Gespräch beteiligt sind oder wenn Sie sich Talkshows im Fernsehen anschauen. So bauen Sie Ihre Wahrnehmungsfähigkeit Stück für Stück aus.
Schon bald werden Sie dann auch in den für Sie wichtigen Situationen, zum Beispiel in Verhandlungen, merken, dass Sie automatisch schneller und leichter erkennen, wann Einwände bei Ihren Gesprächspartnern auftauchen. Das hilft Ihnen nicht nur dabei, einen wirklichen Konsens zu finden. Denn so lassen sich auch mögliche spätere Probleme bereits im Ansatz erkennen und oft sogar vermeiden.
Achten Sie besonders auf diese sieben Bewegungen:
Diese Bewegung kann bedeuten, dass die Person irritiert oder skeptisch ist. Darüber hinaus ist dieser Ausdruck zwar kein zuverlässiges Zeichen für Ärger (dafür fehlt das Hochziehen der oberen Augenlider), er kann aber durchaus auch ein Hinweis auf kontrollierten oder leichten Ärger sein.
Diese Bewegung tritt auch auf, wenn jemand konzentriert ist. Damit ist sie ein Hinweis auf kognitive Anstrengung, ein Zeichen dafür, dass die Person gerade nachdenkt. In diesem Fall hilft es, das Redetempo etwas zu drosseln oder die Sprechpausen zu vergrößern.
Was bei diesem Ausdruck beachtet werden muss, ist, dass er ebenfalls bei schlechten Lichtverhältnissen auftreten kann oder wenn jemand von der Sonne geblendet wird.
Will man diese Bewegung richtig interpretieren, ist es hilfreich darauf zu achten, ob sie auftritt, während jemand spricht oder während die Person zuhört. Beim Sprechen wird das Hochziehen der Augenbrauen häufig benutzt, um etwas zu betonen. Tritt die Expression beim Zuhören auf, kann sie Ungläubigkeit oder Zweifel signalisieren, manchmal auch Erstaunen (dann meist begleitet durch eine leichte Nach-vorne-Bewegung des Kopfes). Wird nur die äußere Augenbrauenseite einseitig hochgezogen, ist dies ebenfalls ein mögliches Zeichen für Skepsis.
Bei nur leichtem Hochziehen der Augenbrauen kann dieser Ausdruck ein Zeichen für die Emotion Interesse sein.
Genau wie das Rümpfen der Nase ist das Hochziehen der Oberlippe ein Zeichen für die Emotion Ekel und damit ein potentieller Hinweis darauf, dass Ihrem Gegenüber irgendetwas nicht schmeckt. Denn die Emotionsfamilie Ekel umfasst auch Gefühlsbeschreibungen wie Ablehnung und Abgeneigt-Sein. Tritt diese Bewegung auf, während Ihnen jemand zuhört, kann sie deshalb ein Signal dafür sein, dass die Person nicht Ihrer Meinung ist (Skepsis, Zweifel) oder das ablehnt, was Sie gerade sagen.
Das Rümpfen der Nase ist ein Zeichen für Ekel und damit ebenfalls ein mögliches Signal für Ablehnung. Da es von nahezu jedem Menschen bewusst ausgeführt werden kann, ist es aber nicht zu einhundert Prozent zuverlässig. Diese Bewegung zeigen wir auch, wenn uns jemand etwas vorschlägt oder erzählt, das wir in der Umsetzung für schwierig halten. Jemand sagt zum Beispiel: „Lass uns nicht den Zug, sondern das Auto nehmen, um von Berlin nach Hamburg zu fahren. Das schaffen wir entspannt in zwei Stunden.“ Wenn Sie die Zeit für zu knapphalten, dann wäre das Rümpfen der Nase eine typische Reaktion.
Auch bei Schmerz kann dieser Gesichtsausdruck auftreten. Dies ist insbesondere in Preisverhandlungen interessant, denn Preisinformationen werden in unserem Gehirn in den Schmerz-Ekel-Arealen verarbeitet. Wenn ein Mensch einen Preis wahrnimmt, der ihm zu hoch erscheint, kann sich dies in Form dieses Ausdrucks zeigen.
Darüber hinaus ist es eine Bewegung, die manche Brillenträger nutzen, um die Brille wieder in die richtige Position zu bringen. Auch wenn die Nase juckt, kommt diese Bewegung vor.
Das Schürzen der Lippen hat hauptsächlich zwei Bedeutungen:
• Die Person denkt nach, wägt etwas innerlich ab oder
• die Person sucht nach einer Idee oder hat eine Idee
Tritt diese Bewegung auf während jemand zuhört, bedeutet dies in der Regel, dass die Person mit dem Standpunkt nicht übereinstimmt und eine andere Idee in Erwägung zieht.
Um bei dieser Expression zwischen neutralem Abwägen, Einwand und positivem Interesse zu unterscheiden, achten Sie zusätzlich auf weitere mimische Ausdrücke und insbesondere auch auf subtile Kopfbewegungen (Hin- und Herwiegen, Kopfschütteln oder Nicken).
Dieser einseitig auftretende Ausdruck ist zum einen ein Zeichen für die Emotion Verachtung, er kann zum anderen aber auch bedeuten, dass jemand nachdenkt, unentschlossen oder skeptisch ist.
Werden die Mundwinkel gleichzeitig auf beiden Seiten angepresst, kann dies auch ein Signal dafür sein, dass man „bedient ist“, weil jemand zum Beispiel etwas gemacht hat oder etwas passiert ist, das man nicht gut findet.
Tritt diese Expression auf, während jemand zuhört, drückt sie für gewöhnlich Ungläubigkeit oder Verneinung aus. Tritt sie in Kombination mit Kopfnicken auf, kann sie auch beeindruckendes Zustimmen signalisieren.
Dieser Ausdruck ist die mimische Entsprechung des Schulterzuckens und damit ein Emblem (= ein erlernter, redeersetzender körpersprachlicher Ausdruck), das so viel sagt wie „Ich bin unsicher / ich weiß es nicht“. Da Einwände in Form von Emblemen (emblematische Ausrutscher) meist nur subtil auftreten, ist es wichtig auch auf feinere Versionen dieses Ausdrucks zu achten.
Über den Autor
Dirk W. Eilert, Jahrgang 1976, ist Experte für emotionale Intelligenz und Entwickler der Mimikresonanz-Methode. Als einer der führenden Mimik- und Körpersprache-Experten im deutschsprachigen Raum ist seine Expertise regelmäßig in Radio, TV und Printmedien gefragt. Dirk W. Eilert ist verheiratet und hat zwei Töchter. Er lebt in Berlin und leitet dort die Eilert-Akademie.