Ein Brief flattert mir ins Haus: Rückrufaktion meines PKW Herstellers. Ich soll bitte einen Werkstatttermin machen. Im Text steht nirgendwo etwas, was einer Entschuldigung für die Umstände nahekäme. Meine Emotion an diesem Touchpoint: Na super! Augenrollen.
Fürs Protokoll:
1. Pain Point für mich als Kundin.
Tagelang versuche ich, anzurufen ... kein Durchkommen.
Pain Point 2.
Emotion: Genervt und verunsichert. Ich weiß ja nicht, ob das auszutauschende Teil mir beim Fahren gefährlich werden könnte.
Ich gehe auf die Website und verwende das Kontaktformular. Ich bitte um einen Werkstatttermin, wie gewünscht. Nach einer Woche immer noch keine Rückmeldung.
Pain Point 3.
Emotion: Ratlosigkeit, gesteigertes Genervtsein. Ich habe ernsthafte Bedenken, mein Auto zu fahren.
Nach zwei Wochen komme ich telefonisch durch. Ich bekomme einen Termin in einem Monat. Keine Entschuldigung für die Umstände, keine Erklärung, warum das Kontaktformular ins Leere lief. Echt jetzt?
Pain Point 4.
Emotion: Fassungslosigkeit. Wenigstens konnte ich kurz erfragen, ob ich mein Auto guten Gewissens weiterfahren kann.
Kurze Zwischenanalyse: Meine Emotionsbilanz befindet sich bisher in einem steten Minus. Bei JEDEM einzelnen Touchpoint.
Dann der Termin:
Ich komme an die Rezeption des Autohauses, mehrere Verkäufer und der Chef laufen umher. Niemand begrüßt mich. Minutenlang stehe ich an der Rezeption, ein Mitarbeiter schaut dahinter in irgendwelche Papiere, ignoriert mich komplett. Ein „Guten Morgen, die Kollegin kommt gleich“, hätte mir hier schon genügt.
Pain Point 5 ist erreicht.
Emotion: Unverschämtheit!
Natürlich bietet man mir auch nicht an, mich nach Hause zu fahren, bis das Auto am Abend fertig ist. DAS hätte es vielleicht aber für mich jetzt noch echt rausgerissen, wenn ich ehrlich bin. Das hätte die Waage wieder ins Gleichgewicht gebracht. Schließlich gibt es keine Möglichkeit, mit öffentlichen Verkehrsmitteln von hier in mein 35 km entferntes Haus zurück zu kommen. Und mein Mann ist beruflich im Ausland.
Ich sitze also vier Stunden im Wartebereich in der zugigen Autohalle, friere, bekomme keinen Kaffee angeboten. Den könnte ich mir am Automaten kaufen. Wow! Die Mitarbeiter diskutieren in der nächsten halben Stunde lautstark, wie sie denn vielleicht ihre Schreibtischmöbel mal umstellen und neu arrangieren könnten. „Oder du stellst deinen Tisch so quer zu mir, dann reicht das Druckerkabel auch.“ Ich möchte spontan einen Vortrag über Customer Experience halten.
Pain Point 6.
Emotion: Was für ein Saftladen!
Und nun passiert das, was niemals passieren darf. Es wandert der fatalste aller Kundengedanken in meinen Kopf:
„Geht es hier eigentlich um mich? Oder nur um mein Geld?“
Dieser Gedanke ist tödlich. Er beendet eine Kundenbeziehung sofort. Wenn ein Kunde ihn denkt, ist das Kind bereits in den Brunnen gefallen. The point of no return. Hin sind Vertrauen und Sympathie für eine Marke. Dazu reicht leider oft eine einzige schiefgelaufene Aktion an einem der vielen Kunden-Touchpoints. Bei mir waren es insgesamt sechs.
Fahre ich das Auto noch? Na klar. Lasse ich es nach der Garantiezeit weiterhin in dieser Werkstatt warten? Hell, no!
Learnings:
Was ist hier alles schiefgelaufen und was hätte das Autohaus mit nur einem kurzen Gespräch mit mir als Kundin (statt des Schreibtisch-Umstellens) herausfinden können?
- Brief an Kunden wegen Rückrufaktion: Entschuldigung fehlt. Beruhigung fehlt, dass das Auto gefahrfrei weiterhin gefahren werden kann. Hinweis auf effiziente Kontaktmöglichkeit fehlt.
- Kontaktmöglichkeit per Telefon und Formular lief ins Leere. Kontaktformular fixen oder am besten direkt auf der Website ein Terminierungstool für diese Rückruftermine einrichten. Den Link schon im Anschreiben kommunizieren, z.B. als QR-Code.
- Begrüßung im Autohaus: Ohne Worte. Wer heutzutage seine Kunden noch minutenlang aktiv ignoriert, gehört in die Service-Wüste geschickt. Ohne Wasser. Also nochmal zum Mitschreiben: Augenkontakt, Lächeln, Begrüßung (am besten sogar mit Namen).
- Lautstarke, interne Gespräche vor Kunden: Wenigstens haben sie sich nicht über ihre letzte Partynacht unterhalten. Nein wirklich, sowas wollen Kunden nicht hören. Macht das bitte leise oder wenn Kunden weg sind. Redet lieber MIT den Kunden und findet nebenbei im Smalltalk heraus, wie ihr das Markenerlebnis für alle verbessern könnt.
Fazit:
Empathie und Perspektivenwechsel kann man lernen. Indem man seine Kunden beobachtet. Ihren Gesichtsausdruck, ihre Körperhaltung. Indem man sich versucht vorzustellen, wie man selbst sich jetzt fühlen würde, in ihrer Situation. Am schnellsten lernt man aber im direkten Gespräch. Welche Worte wählt ein Kunde? Was wird zwischen den Zeilen gesagt?
Vielleicht ist dies ein guter Vorsatz für Ihr neues Jahr: Empathie trainieren. Und deinen Kunden wenigstens einen Kaffee anbieten.
Dabei helfen kann das Buch „Customer Experience leicht gemacht“ mit praktischen Tipps, Arbeitsvorlagen und Interviews.
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Über die Autorin
Andrea Yildiz ist Dipl.-Betriebswirtin, CX Professional (CXAD) und Brand Strategist aus Worms. Seit über 25 Jahren arbeitet sie im Kommunikationsmarketing. Ende der Neunziger Jahre war sie für Global Player wie Daimler und Emirates in Dubai tätig. Zurück in Deutschland und genervt von der Arbeitssituation in Teilzeit als junge Mutter, machte sie sich 2012 selbstständig und startete ihre eigene Werbeagentur. Seit 2017 arbeitet sie ausschließlich alleine und widmet sich nur noch Soloselbstständigen und Kleinunternehmen. Sie generiert knapp 70 % ihrer Nettoerlöse durch CX und Weiterempfehlungen ihrer BestandskundInnen
Seit 2019 beschäftigt sie sich intensiv mit dem Thema CX und ist immer wieder verblüfft, wie wenig Unternehmen diese hocheffektive Disziplin bei sich anwenden. Ihr großes Herz für kleine Unternehmen sowie ihre Passion für deren Erfolg im Markt prägt ihre Arbeit und ist ihr größter Antriebsmotor. Ihr Motto: Jedes Unternehmen, egal wie jung oder klein, verdient professionelles und bezahlbares Marketing.