Management, Führung

Shared Leader­hsip

So gelingt geteilte Führung in Unter­nehmen

24/7 erreich- und ansprechbar, die erste Person im Office, die letzte im Feierabend, ein Nachschlagewerk für alle fachlichen Fragen, eine sichere Bank bei den meisten persönlichen Anliegen, mal Sündenbock, mal Alltagsheld und vieles andere mehr. Die Aufgaben und Rollen, in denen sich Führungskräfte auch heute noch sehen, sind so vielfältig, dass man zu Recht kaum glaubt, wie eine Person das alles stemmen kann.

Läge da nicht der Gedanke nah, diese Rollen und Verantwortlichkeiten auf kluge Weise zu splitten? Vielleicht, doch der ist für viele sehr weit weg. Die Menschen haben sich doch an diese eine Leitfigur gewöhnt. Und keimt diese Idee, dann zweifelt man: Wie regelt man Kompetenzen, Arbeitszeiten und überhaupt … Teilzeit geht für viele maximal in Nebenrollen in Ordnung, aber doch nicht im Zentrum des Spektakels.

Diese Denkweise ist nicht nur veraltet und egozentriert, sie raubt Unternehmen auch unglaubliche Chancen. Denn Shared Leadership, zu Deutsch geteilte Führung, entspricht nicht nur dem Zeitgeist. Sie macht Führungspositionen nachweisbar attraktiver und inklusiver. Gerade in Zeiten des immer heftigeren Fachkräftemangels sind das Argumente, die nicht mit einem „Das klappt doch eh nicht“ vom Innovationstisch gefegt werden sollten.

Unsere Arbeitswelt ist im Wandel. Immer. Und immer schneller. Das bedeutet nicht nur, dass Führung selbst mit mehr und mehr Herausforderungen einhergeht, auch die Jobbeschreibungen der Führungskräfte müssen sich anpassen. Jedes Unternehmen braucht kompetente Leader, aber Führung wird flächendeckend unattraktiver wahrgenommen. Insbesondere im Mittelstand und mittleren Management. In den Sandwichpositionen, die sich schon traditionell mehr aufgerieben haben. Wer also an die fachlich und persönlich herausragenden Führungskräfte will, muss sich den Bedürfnissen und der Lebensrealität der neuen Arbeitsgeneration stellen.

Und das heißt auch, alten Stolz und alte Weisheiten über Bord zu werfen, um sich den Vorlieben der umworbenen Zielgruppe anzupassen. Denn bekanntermaßen muss der Wurm dem Fisch schmecken und nicht der dem Angler oder der Anglerin.  

Vorteile und Nutzen für Unternehmen

Der größte Vorteil geteilter Führung liegt aus Unternehmenssicht in der gesteigerten Arbeitgeberattraktivität, die eine größere Anzahl potenzieller Kandidatinnen und Kandidaten anzieht. Die Baby Boomer verabschieden sich langsam und sicher Richtung Ruhestand. Folgen werden also die Gen X, Y, Z und in einer Zukunft, die schneller kommt, als man denkt, die Generation Alpha. Spätestens mit den Millennials (Gen Y) hat ein Umbruch in der Arbeitsmentalität stattgefunden. „Höher, schneller, weiter auf der Karriereleiter“ ist für diese Generationen nicht mehr so interessant. Oftmals haben sie die negativen Folgen dieser Einstellung in Bezug auf Gesundheit, Familienleben und persönliche Entwicklung bereits in Kindertagen bei ihren Eltern gesehen und wünschen sich bewusst etwas anderes.

Diese Generationen möchten nicht mehr leben, um zu arbeiten, sondern mit ihrem Beruf ein sorgenfreies Leben sichern, einen wertvollen Beitrag leisten, einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen. Das Statussymbol Jobtitel wird in gewisser Hinsicht verschwinden. Und es wird seine nahen Verwandten „60-Stunden-Woche“ und „immer busy sein“ mitnehmen. Mit einem Shared-Leadership-Modell begegnen Unternehmen diesen Bedürfnissen, während der „Verlust“ für Unternehmen abgemildert werden kann.

Ein weiterer Vorzug geteilter Führung ist neben dem Ausgleich des Fachkräftemangels auch die langfristige Bindung bereits vorhandener Mitarbeiter, die sich gerade in einer Lebensphase befinden, in der Arbeit nicht die erste Priorität hat, weil auch anderes wichtig wird. Diese Mitarbeiter jedes Mal zu entlassen oder in die Kündigung zu treiben (vielleicht sogar, nachdem sie jahrelang im eigenen Unternehmen ausgebildet wurden), ist betriebswirtschaftlicher Unsinn.

Durch kollektive Führungsintelligenz im Tandem steigt vielfach sogar die Innovationsfähigkeit. Und nicht zuletzt existiert noch ein weiterer Vorteil von Shared Leadership, der zu Unrecht oft als Nachteil gesehen wird: Teams, die von zwei Führungskräften betreut werden, sind nicht labiler, sondern stabiler aufgestellt. Sie sind produktiver und handlungsfähiger. Vertretungsregelungen bei Urlaub und Krankheit müssen nicht jedes Mal neu definiert werden, sondern sind in der Team-DNA verankert. Auch wenn eine Führungskraft fehlt, muss nicht auf Freigaben oder Antworten gewartet werden. Voraussetzung für all diese Vorteile ist natürlich, dass das Shared-Leadership-Modell gut durchdacht und individuell passend implementiert wurde.

Tipps zur erfolgreichen Implementierung in Unternehmen

Jobsharing, Topsharing, Joint oder Shared Leadership – neue Namen gibt es viele für diese Art der Führung, wirklich neu ist sie deshalb aber nicht. Ein Parabeispiel ist das 1914 in Barcelona gegründete Parfümunternehmen Puig Corporation. Hier teilten sich nicht nur zwei, sondern sogar vier Personen, Geschwister in diesem Fall, die Führungsverantwortung. Und das ziemlich erfolgreich für 45 Jahre. Mittlerweile gehören Eigenmarken wie Paco Rabanne, Jean Paul Gaultier und Carolina Herrera zum Portfolio des Unternehmens.

Vielleicht wird Ihr Unternehmen in ein paar Jahren ebenfalls auf der Liste der Positiv-Beispiele stehen. Dafür müssen ein paar Faktoren aber einfach passen:

Shared Leadership gehört in die Unternehmenskultur

Es ist eine absolute Grundvoraussetzung, dass die Geschäftsführung gewillt ist, sich auf allen Ebenen auf dieses Modell einzulassen. Das muss nicht zwingend bedeuten, auch ganz oben eine Doppelspitze zu haben, aber es muss klar sein, dass die geteilte Führung nicht nur akzeptiert, sondern auch respektiert wird. Wo hinter vorgehaltener Hand von „Mama-zurück-im-Job“-Modell geredet wird, wird niemals Akzeptanz entstehen.

Regelmäßige Updates des Führungstandems

Am besten richten sich alle Beteiligten des Führungsteams wöchentliche Jour fixes ein, um aktuelle Probleme besprechen zu können oder einfach Zeit für den Austausch von Informationen zu haben. Informationsdepots sind eine der größten Hürden, wenn es um Jobsharing geht, Jour fixes eine niedrigschwellige und effektive Gegenmaßnahme. Deswegen sollte der Termin auch dann durchgeführt werden, wenn es auf den ersten Blick nichts zu besprechen gibt.

Externe Begleitung in Erwägung ziehen

Wenn das Joint-Leadership-Modell zum ersten Mal im Unternehmen integriert wird, kann es enorm hilfreich sein, sich eine externe Begleitung in Form eines Coaches hinzuzuholen. Auch bei bereits existierenden Teams hilft eine Supervision oder streckenweise Begleitung, wenn es mal knifflig wird.

Weitere Tipps und Best Practices finden Sie übrigens knackig und auf den Punkt in 30 Minuten Geteilte Führung von Brigitte Ehmann. In einer Stunde lesen Sie sich mit diesem Praxisbuch auf ein solides Level und können entscheiden, ob ein Topsharing in Ihrem Unternehmen oder für Sie persönlich das Richtige ist.

Fallstricke und Hürden der geteilten Führung

Lobgesänge machen immer Spaß, aber es ist auch wichtig, einen Blick auf die Kehrseite der Medaille zu werfen. Denn nicht alle Vorbehalte gegenüber Teilzeitführung sind aus der Luft gegriffen. Insbesondere wenn die zuvor genannten Best Practices nicht eingehalten werden, kann einiges schieflaufen. Aus Angst vor Scheitern auf Innovation zu verzichten, hat noch nie geholfen – ein Bewusstsein für die Stolpersteine hingegen schon:

Tandempartnerbörsen nicht überschätzen

In einigen größeren Unternehmen gibt es bereits Datenbanken, aus denen sich Tandemwillige potenzielle Verbündete aussuchen können. Das Ganze mutet an wie eine Partnervermittlung – und genau das ist es im Prinzip ja auch. Deswegen lauern hier auch ähnliche „Gefahren“. Die Informationen, die online bereitgestellt werden (können), sind nicht selten dürftig und ob es auf der persönlichen Ebene funkt, lässt sich auch nicht mit ein paar Klicks herausfinden. Am besten wählt man den Jobsharing-Partner unter Personen aus, mit denen in der Vergangenheit bereits erfolgreich zusammengearbeitet wurde und die idealerweise die eigenen fachlichen Kompetenzen ergänzen.

Arbeitszeit und Full-Time-Equivalent

Vorher eine 100-Prozent-Stelle, jetzt zwei 70-Prozent-Stellen, aber derselbe Job? Das klingt erst einmal wenig wirtschaftlich und löst auch in der Belegschaft Verwirrung aus. Langfristig gesehen sollte das Full-Time-Equivalent natürlich gehalten beziehungsweise wiederhergestellt werden. Warum die „140 Prozent“ aber dennoch eine gute Lösung, zumindest für den Übergang, sind? Ganz klar auf den Punkt: Weil das Unternehmen vermutlich niemand anderes findet.

Außerdem sind die alltäglichen Querelen, mit denen man sich gerne in Vollzeit herumschlägt, nicht einfach verschwunden, nur weil man 30 Prozentpunkte von der Arbeitszeit abzieht. Da, wo eine Vollzeitstelle bisher eher 50 bis 60 Arbeitsstunden nach sich zog, wird eine Teilzeitstelle zu Beginn bei 40 landen. Viele Unternehmen sind daher gewillt, die 20 oder 30 Prozent Mehrarbeitszeit zu bewilligen. Nicht zuletzt steigt zumindest initial auch der Aufwand für Abstimmungen, Informationsaustausch, Feedback und Übergaben zwischen den Tandempartnern.

Verantwortungsdiffusion bei Shared Leadership

Eine der größten Hürden hat erst mal nichts mit den Rahmenbedingungen und Strukturen in einem gegebenen Unternehmen zu tun, sondern mit der menschlichen Psyche. Wo mehrere Menschen sich die Verantwortung für eine Aufgabe teilen, könnte sich jeder und jede Einzelne weniger zuständig fühlen. Insbesondere bei Vertretungen während Urlaubs- oder Krankheitszeiten kann es passieren, dass Entscheidungen aufgeschoben und Projekte stiefmütterlich betreut werden, die nicht unmittelbar in den eigenen Verantwortungsbereich fallen.

Da helfen nur klare Kommunikation, Zuständigkeiten und Abstimmungsprozesse, die entsprechend mehr Zeit in Anspruch nehmen werden. Damit das am Ende klappt, braucht es klare Definitionen, welche Entscheidungen jeder Tandempartner allein treffen kann und ab welchem Punkt man sich untereinander austauschen muss. Dafür eignet sich folgende Einteilung in Kategorien:                     

  • Kategorie 1: Aufgaben, für die jeweils ein Partner verantwortlich ist, z. B. Buchhaltung.
  • Kategorie 2: Aufgaben, bei denen beide involviert, einer jedoch im Lead verantwortlich ist, z. B. ein Kundenpitch.
  • Kategorie 3: Aufgaben, an denen beide gemeinsam arbeiten. Hier findet eine Doppeltätigkeit statt, die immer dann gerechtfertigt ist, wenn es um Aufgaben von hoher Wichtigkeit geht, beispielsweise alles, was sich mit der strategischen Ausrichtung des Unternehmens beschäftigt.        

Weitere mögliche Hürden – und Lösungen dafür – finden Sie natürlich auch in 30 Minuten Geteilte Führung von Brigitte Ehmann.

Fazit: Shared Leadership birgt großes Potenzial, funktioniert aber nicht von heute auf morgen

Im Modell der geteilten Führung liegen viele Vorteile und Chancen für die Zukunft. Wer sein Unternehmen auf den Arbeitsmarkt von morgen mit den geänderten Bedürfnissen der Workforce und den Begleitumständen, wie Fachkräftemangel, New Work etc. vorbereiten will, sollte Shared Leadership als einen Lösungsbaustein immer mitdenken. Denn bevor dieses Modell reibungslos funktioniert, müssen die Kultur im Unternehmen und sehr wahrscheinlich auch die digitale Infrastruktur entsprechend angepasst werden. Ist das geschafft und sind harmonische Teams gefunden, funktioniert das Gesamte wegen doppelt frischer Impulse und mehr Ideen vermutlich besser als mit dem guten alten einsamen Wolf oder der Wölfin an der Spitze.

Unser Tipp: Wenn Sie noch mehr Lust auf das Thema Shared Leadership haben, dann können Sie sich jetzt schon auf unser Herbstprogramm freuen. Denn am 10. September erscheint Johanna Finks Buch So wird Führung in Teilzeit zum Erfolg! Das Praxisbuch für Teilzeitführungskräfte, das Sie jetzt schon vorbestellen können.

Bildquelle:  Dina Ivanova / istockphoto.com