von Elke Müller
Stellen Sie sich vor: Sie haben einen jungen Inder, nennen wir ihn Paresh Bharat, als Software-Ingenieur eingestellt. Das war relativ einfach, denn der hat seinen Master an einer deutschen Hochschule angeschlossen, somit ist sein Abschluss anerkannt, er lebt schon in Deutschland und somit muss sein studentischer Aufenthaltstitel „nur“ in eine Blue Card EU umgetauscht werden. Dieser Prozess kann zwar einige Zeit dauern, ist aber immer noch deutlich schneller als ein neuer Visumsantrag bei einer Deutschen Botschaft in Indien.
Sie bieten ihm für den ersten Monat ein möbliertes Apartment an, so dass er ausreichend Zeit hat, von seinem Studienort an seinen neuen Arbeitsort umzuziehen und dort eine neue Wohnung zu suchen. Paresh kommt aber nicht alleine, sondern bringt gleich seine Frau und zwei kleine Kinder mit. Das erfahren Sie eher indirekt kurz bevor er ankommt, denn er teilt Ihnen mit, dass er eine „große Wohnung für 4 Personen benötigt“ und das angebotene Apartment viel zu klein sei.
Nun ist der Markt für möblierte Wohnungen zu einem akzeptablen Preis in Ihrer Region nicht sehr groß und Sie müssen ihm schmackhaft machen, dass das angemietete Apartment für einen Monat völlig in Ordnung ist.
Frage: Warum wusste eigentlich niemand, dass Paresh mit Ehefrau und 2 Kindern ankommt?
Das passiert so nicht? Oh doch, leider ist genau diese Situation Alltag in vielen Unternehmen. Da wird im Recruitingprozess über alles Mögliche geredet, die private Situation wird aber nicht aktiv angesprochen. Oft nach dem Motto: „Da muss er halt selbst was sagen …“ oder „…das ist doch Privatsache…“ und „der lebt doch schon hier, der weiß ja, wie alles läuft …“
Ja, sachlich alles richtig!
Aber: Hier geht es um die Beziehung! Bei den meisten Internationalen wird eben nicht nur eine neuer Mitarbeiter, eine neue Mitarbeiterin rekrutiert, sondern sehr oft eine ganze Familie, die Aufmerksamkeit möchte. Stichwort „Beziehungsorientierung“ und der Wunsch nach einer Führungskraft, die sich auch für die privaten Belange der Mitarbeitenden interessiert und verantwortlich fühlt. Aber doch nicht in Deutschland! Da möge ich der Chef, die Chefin auf keinen Fall in private Angelegenheiten einmischen. So geht interkulturelles Missverständnis und genau diese Situation gehört zu den „Klassikern“ beim Interkulturellen Onboarding!
Und es geht weiter, denn:
Sunita, die Frau von Paresh findet es unmöglich, wie sie untergebracht wurden und erwartet, dass er dies kommuniziert und ändert! Und jetzt? Ist Ihr neuer Mitarbeiter in einem echten Dilemma, denn er weiß wahrscheinlich gar nicht, mit wem er das Thema besprechen kann. Er wird es wahrscheinlich sehr indirekt an seine Führungskraft adressieren, die gar nicht so genau versteht, was er will …. Und Paresh wird sich fragen, ob Sie der richtige Arbeitgeber sind, wenn ihm so wenig Wertschätzung entgegengebracht wird und sich niemand für seine Familie interessiert.
Ich höre immer wieder Klagen, dass die Fluktuation der internationalen Fachkräfte enorm hoch sei, sprich bei 40% oder gar 60% liegt. Fast immer werden die Mitarbeitenden alleine dafür verantwortlich gemacht, „die gehen ja gleich mal für € 100,-- mehr im Monat…“. Ja, das kann tatsächlich ein Grund sein, in der Regel sind die Gründe vielschichtiger und oft spielt vermisste Wertschätzung und eine fehlende Beziehung eine sehr große Rolle.
Es macht also sehr viel Sinn, sich mit der kulturellen Prägung der neuen Mitarbeitenden auseinanderzusetzen, vermeintlich private Themen mit auf die Onboarding-Agenda zu setzen und sich aktiv um die Familie zu kümmern. Das kann dazu führen, dass ein besseres Angebot ausgeschlagen wird!
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30 Minuten interkulturelles Onboarding
Bildquelle: Unsplash
Über die Autorin
Elke Müller ist Geschäftsführerin von compass international, einem Beratungsunternehmen zur Förderung internationaler Personalentwicklung. Seit fast 30 Jahren beschäftigt sie sich als Trainerin und Beraterin insbesondere mit den Auswirkungen von Vielfalt auf das Arbeitsleben. Dabei helfen ihr ihre systemische Berater- und Organisationsentwicklungsausbildung und die kontinuierliche Beschäftigung mit Lern- und Lehrmethoden. Sie berät Unternehmen und Organisationen zu Themen wie dem Onboarding internationaler Fachkräfte, zu Diversity und der Internationalisierung im Personalbereich.
Seit 2013 ist sie Dozentin für „Diversity und Führen“ an der Universität Stuttgart. 2014 wurde sie vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) im Rahmen der Initiative „FRAUEN unternehmen“ als Vorbildunternehmerin ausgezeichnet.
Elke Müller ist für ihre KundInnen Ansprechpartnerin zum Thema Onboarding und erlebt täglich, welche Konzepte in den Unternehmen und Organisationen funktionieren und welche nicht bzw. wo stimmige Konzepte auch (noch) gänzlich fehlen. Diese praktischen Erfahrungen gibt sie in ihren Trainings und Workshops und nun auch in ihrem Buch weiter.