Management, Führung

Future Skill Mut: So wird man zum Über­flieger der Wirt­schaft

von Anne M. Schüller

Die Zukunft liegt in den Händen couragierter Ideengeber, die mit jungem, wildem, kühnem Denken und Tun die entscheidenden Umbrüche wagen. Ihre Wissbegier, ihr Wagemut, ihr Tatendrang und ihr Innovationsgeist müssen das ganze Unternehmen erfassen. Nur so kann der Sprung nach vorn tatsächlich gelingen.

Das Verteidigen veralteter Strukturen und die fehlende Akzeptanz für den Input innovativer Übermorgengestalter sind die Top-Hindernisse auf dem Weg in die Zukunft. Doch nicht die Menschen in den Unternehmen sind „verkehrt“, denn sie sind das Produkt ihrer innerbetrieblichen Sozialisierung. Wer dem grundlegend Neuen tatsächlich eine Chance geben will, muss zunächst die internen Strukturen und das organisationale System auf den Prüfstand stellen und dann die notwendigen Rahmenbedingungen für eine couragierte Übermorgengestalterkultur erschaffen.

Mehr und mehr kristallisiert sich nämlich heraus: Es gibt da draußen eine riesige Zahl großartiger Menschen, die längst die Einsicht gewonnen haben, dass man nun wirklich nicht länger so weitermachen kann wie bisher. Sie wollen, dass die Unternehmen sich anders aufstellen und dass die Wirtschaft anders wirtschaftet als früher. Sie sehnen sich danach, beseelte Organisationen aufzubauen, die einen bemerkenswerten Umgang mit Kunden, Mitarbeitenden, Partnern, der Gesellschaft und unserer Umwelt pflegen.

Nicht zuletzt haben die aktuellen Krisen gezeigt, wie schnell es zwingend werden kann, Verfahren und Vorgehensweisen über Bord zu werfen, weil plötzlich alles ganz anders läuft als geplant. Sie haben aber auch gezeigt, wie sich auf einmal Handbremsen lösen. Rasche, neue Entscheidungen? Geht! Spontan, unkompliziert, unbürokratisch? Geht auch! Die ewigen Geht-nicht-Sager, Blockierer und Vorgesternbewahrer haben keine Argumente mehr. Wer sich mutig verändert, für den klappt der Sprung in die Zukunft.

Mutiges, neues Gedankengut kommt leider oft nicht zum Zug

„Für meine Meinung interessiert sich niemand bei uns, ich bin ein viel zu kleiner Fisch“, erklärt mir Lars sichtlich desillusioniert. Der junge Mann war mir schon in der Diskussionsrunde nach meinem Vortrag aufgefallen. Beim anschließenden Umtrunk sprach ich ihn nochmal an. Es ging ihm darum, Dynamik in sein Unternehmen zu bringen und neue Dinge auszuprobieren. Seine Gedanken waren glasklar und logisch. „Ich weiß“, sagt Lars traurig, „doch ich finde einfach kein offenes Ohr.

„Stattdessen“, erzählt er, „haben die Chefs eine Unternehmensberatung beauftragt. Die hat lang und breit analysiert, was bei uns jeder längst weiß. Das hat drei Monate gedauert und jede Menge gekostet, doch auch danach ist nichts weiter passiert. Derweil laufen uns die Kunden scharenweise davon. Die hätten mich mal bloß in den Boardroom lassen sollen, ich hätte ihnen klipp und klar sagen können, woran das liegt. Doch bei uns sitzen in den Entscheidungsmeetings immer nur die zusammen, die die passenden Titel haben, aber nicht die mit der Expertise. Die haben gar keinen Zutritt.“

„Es ist doch geradezu tragisch,“ meint er weiter, „dass wir jungen Leute, die Neuartiges tatsächlich einbringen könnten, bei solchen Treffen gar nicht erwünscht sind.“ Ja, es ist tragisch – und zugleich äußerst gefährlich, wenn ein Unternehmen seine Zukunft verspielt, weil der interne Innovationsgeist versiegt. Seine Kollegen, sagt Lars zum Schluss, haben längst resigniert. Und er selbst sei, wie viele, schon auf dem Sprung.

Die junge Generation: fürs Übermorgengestalten prädestiniert

Game Changer, First Mover und Übermorgengestalter haben uns zu allen Zeiten den Fortschritt gebracht. Die digital geprägten Vertreter der heutigen Nachwuchsgeneration sind hierfür geradezu prädestiniert. Sie leben anders, sie konsumieren anders, sie arbeiten anders, sie lernen auch anders. Mit ständiger Veränderung umzugehen, darin sind sie erprobt. Sie lieben Optionen - und haben immer einen Plan B oder C oder D. Von Hierarchien „kraft Amtes“ werden sie sich nicht beeindrucken lassen, vor der alten Garde nicht kuschen und nicht brav einem überholten Vorgehen folgen. Sie suchen nach eigenen Wegen zum Ziel. Denn es ist ihre Zukunft, in die wir uns hineinbewegen.

Doch in vielen klassischen Corporates werden sie geradezu infantilisiert - und müssen sich von Entscheidungsträgern (was für ein Unwort) bevormunden lassen, die vor allem bei Zukunftsthemen Nachholbedarf haben. Aber auch Führende werden in vorgedachte Schablonen gepresst, indem man Punktlandungen auf Planvorgaben von ihnen verlangt. Selbst die, die das gar nicht wollen, werden durch kleinliche Genehmigungsverfahren zum Mikromanagement degradiert - und zu Häkchenmachern abqualifiziert.

Geht es auch anders? Selfmade-Milliardär Sir James Dyson meint, seine Firma sei vor allem deshalb so erfolgreich, weil Dyson-Produkte von Berufseinsteigern und frischgebackenen Hochschulabsolventen entwickelt und konstruiert werden.

„Wir tun dies vor allem deshalb, weil sie gewissermaßen unverdorben sind. Sie wurden noch nicht von einem Unternehmen zurechtgestutzt.“

So wandelt sich Dyson immer mehr zu einem Lifestyle-Optimierer mit Produkten, die zugleich teuer und begehrenswert sind.

Mut oder Konformismus: Was wird denn bei Ihnen belohnt?

Wer seine Mitarbeitenden dafür belohnt, dass sie etablierten Vorgaben folgen, ohne diese hinterfragen zu dürfen, bekommt Leute, die nur noch Vorlagen ausmalen können, aber niemanden, der auch eigene Bilder entwirft. Kein Wunder, dass dann Kreativität und Eigenständigkeit schwinden – so, wie ein Muskel verkümmert, den man niemals benutzt. Überlegen Sie also gut, was Sie belohnen: den Konformismus – oder das Anderssein? Das Abarbeiten von Verfahrensvorgaben – oder mutige Schritte ins Neuland. Das devote Nichthinterfragen – oder den konstruktiven Widerspruch? Denn gemacht wird, was belohnt wird.

In einem durch Konformismus geprägten Umfeld verkümmern am Ende sogar die ursprünglich ideenreichen Nonkonformen. Wird ein Individuum nämlich für schöpferische Leistungen oft kritisiert oder werden seine Einfälle stets abgewiesen, entsteht ein Phänomen, das als „Kreativitätskränkung“ bekannt ist: Die Neugier erlischt, man zieht sich zurück oder gibt sofort klein bei. Von sensiblen Menschen bekommt man, wenn sie nur ein einziges Mal heftig angegriffen und heruntergemacht wurden, nie mehr Ideen. Sie sind wie Blumen, die schnell verwelken, sobald man sie knickt.

Wir brauchen vor allem Anreize, damit die Mitarbeitenden nicht nur mutig denken, sondern auch eigeninitiativ handeln. „Aber da verlieren wir ja ganz die Kontrolle“, ruft man mir zu. Gut so, kann ich nur sagen. Hochqualifizierte Talente müssen nicht beaufsichtigt werden wie kleine Kinder. Das bremst sie nur aus. Je höher die Zahl der strikt zu befolgenden Prozesse ist, desto weniger Wandel ist möglich. Und je größer ein Unternehmen, desto verheerender ist der Effekt. Sie werden zu Riesen, die sich selbst knebeln und den eingepflockten Fesseln dann nicht mehr entkommen.

Wie Führende als Ermöglicher notwendigen Mut initiieren

Kein Unternehmen erzielt Wettbewerbsvorsprünge dadurch, dass seine Beschäftigten starre Regeln befolgen. Vorsprünge erzielt man durch außergewöhnliche Vorgehensweisen, durch wagemutiges Handeln und neue Ideen. Wo aber Angst, Bedrohung, Druck und Kontrolle regieren, hat Mut keine Chance. Und wer selbst keinen Mut zum Wandel zeigt, kann anderen die Angst vor dem Neuen nicht nehmen. Nicht Konformismus, sondern Mut muss man also in den Unternehmen belohnen:

  • den Mut, anders zu denken,
  • den Mut, anders zu handeln,
  • den Mut, Neues zu wagen.

Die Möglichkeitsräume, damit das gelingt, kann dort, wo noch hierarchisch gearbeitet wird, nur die Führungskraft öffnen, zum Beispiel mit ermunternden Worten wie diesen:

  • „Was haben Sie denn heute Mutiges vor oder schon geleistet?“, will sie interessiert wissen und zeigt damit: Mut ist ihr wichtig, weil sie explizit danach fragt.
  • „Es freut mich, dass Sie das so offen ansprechen“, sagt der Chef im Meeting zu einem Mitarbeiter, der einen seiner Vorschläge attackiert. „Sie zeigen damit, dass Sie gründlich nachdenken und dass Ihnen das Fortkommen der Firma am Herzen liegt. Den Mut, uns allen und auch mir Ihre Meinung hier so nachdrücklich darzulegen, den rechne ich ihnen hoch an.“
  • „Sie erhalten zehn Prozent Bonus in diesem Jahr, weil Sie mutig gehandelt und Risiken auf sich genommen haben. Nicht alle Aktionen haben geklappt, aber das ist normal. Das gehört dazu, wenn man Neues wagt. Die Dinge nämlich, die geklappt haben, die haben uns richtig nach vorne gebracht. Prima. Vielen Dank.“

Führende, die so denken und handeln, haben einen ausgeprägten Chancenblick. Sie lieben die Zukunft, die sich digitalisierende Welt - und neue unkonventionelle Ideen. Sie sind offen für interessante Vorschläge und haben Mut für Experimente. Sie schaffen, wie ich in „Bahn frei für Übermorgengestalter“ ausführlich beschreibe, unternehmerische Orte, an denen es vor High Potentials geradezu wimmelt. Und genau das schafft die notwendige Basis, um zu einem Überflieger der Wirtschaft zu werden.

Mehr zum Thema im neuen Buch der Autorin

Bahn frei für Übermorgengestalter

Anne M. Schüller: Bahn frei für Übermorgengestalter

Gabal Verlag 2022, 216 S., 24,90 €, ISBN 978-3967390933

Das Buch zeigt 25 rasch umsetzbare Initiativen und weit über 100 Aktionsbeispiele, um zu einem Überflieger der Wirtschaft zu werden. Kompakt und sehr unterhaltsam veranschaulicht es jedem, der helfen will, eine bessere Zukunft zu gestalten, die maßgeblichen Vorgehensweisen in drei Bereichen: Wie machen wir die Menschen stärker, das Zusammenarbeiten besser und die Innovationskraft im Unternehmen größer.

Über die Autorin

Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Tagungen, Fachkongressen und Online-Events. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Beim Business-Netzwerk Linkedin wurde sie Top-Voice 2017 und 2018. Von Xing wurde sie zum Spitzenwriter 2018 und zum Top Mind 2020 gekürt. Ihr Touchpoint Institut bildet zertifizierte Touchpoint Manager und zertifizierte Orbit-Organisationsentwickler aus. Zu ihrem Kundenkreis zählt die Elite der Wirtschaft. Kontakt: www.anneschueller.de