Management, Führung

Die Erfolgs­falle

Ein Gast­bei­trag von Christian Greiser

Der Job an der Spitze, wer hat noch nicht davon geträumt? Aber dieser Job ist herausfordernder geworden und entpuppt sich immer mehr als Schleudersitz. Es vergeht kaum eine Woche, ohne dass nicht auf den Titelseiten über gescheiterte Manager berichtet wird. Von 200 namhaften Unternehmen hat rund die Hälfte in den letzten zehn Jahren drei oder mehr neue Vorstandstandvorsitzende ernannt, wie eine aktuelle Studie der Personalberatung Egon Zehnder zeigt. Das klingt fast wie beim Staffellauf. Und das ist nicht verwunderlich. Denn mit den tektonischen Verschiebungen im Geschäftsumfeld, bedingt durch Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Corona-Krise, Generationswechsel und geopolitische Verwerfungen, hat sich auch die CEO-Rolle verändert und das in einem atemberaubenden Tempo.

Wer in diesem Umfeld an der Spitze überleben will, muss anpassungsfähig sein. So manchem Manager ist diese Fähigkeit aber abhandengekommen. Der Grund dafür mag paradox klingen: Es ist der eigene Erfolg, der vielen zum Verhängnis wird.

Die zwei Gesichter des Erfolgs

Erfolg hat auch dunkle Seiten

Erfolg ist das magische Wort unserer Zeit. Wir leben in einer Erfolgsgesellschaft. Kaum ein Manager, der nicht durch den Wunsch nach persönlichem Erfolg angetrieben wird. Erfolg gleich Erfüllung und Glück, viel Erfolg gleich viel Erfüllung und viel Glück. So lautet die einfache Formel, nach der so mancher sein Leben ausrichtet.

Aber ganz so einfach ist es nicht. Denn Erfolg hat auch eine dunkle Seite.

Es verhält sich mit ihm wie mit einem guten Wein: In der richtigen Dosierung ist Erfolg ein Genuss. Im Übermaß wirkt er schädlich, macht abhängig und berauscht geradezu. Zu viel Erfolg macht blind und träge und beraubt uns zudem wichtiger Lernerfahrungen.

Der Ikarus-Effekt: Wenn Erfolg blind macht

Von WeWork bis Wirecard: Die Liste der erst gehypten und dann tief gefallenen Manager ist lang. Erkennen Sie ein Muster? Wer einen Erfolg an den nächsten reiht, läuft Gefahr irgendwann den Boden unter den Füßen zu verlieren und überheblich zu werden. Jede Form von Kritik und Zweifeln wird dann ausgeblendet und immer stärker manifestiert sich der Glaube, die ultimative Erfolgsformel gefunden zu haben. Daraus resultiert eine starre Haltung die keinen Raum für Anpassungsfähigkeit, Feedback und gesunde Selbstreflektion lässt.

So geht es im Blindflug immer höher bis schließlich der Absturz erfolgt, weil sich die vermeintliche Erfolgsformel schließlich als Trugschluss erweist. Ikarus-Effekt heißt das in der Business Welt.

Der Gravitationseffekt: Wenn Erfolg träge macht

Erfolg erzeugt Beharrungskräfte. Wir kennen das aus der Wirtschaftsgeschichte. Kodak, Nokia, Nixdorf, immer wieder scheitern erfolgreiche Unternehmen, weil sie blind der Erwartungshaltung ihrer bestehenden Kunden folgen und so disruptive Technologieentwicklungen verpassen. „Innovators Dilemma“ heißt das im Fachjargon. Wie im Großen, so im Kleinen.

Die gleiche Gefahr besteht auch für Manager, die sich auf eine Rolle für ihr Stammpublikum festgelegt haben. Sie laufen Gefahr, unbeweglich und träge zu werden, weil sie unter persönlichem Erfolgsdruck immer wieder das gleiche Stück aufführen, um der Erwartungshaltung der Öffentlichkeit zu genügen. Ihr eigener Erfolg hält sie dabei wie in einem Gravitationsfeld gefangen. Bis das Publikum irgendwann nicht mehr klatscht und weiterzieht, weil sich die Welt weitergedreht hat.

Singularität: Wenn Erfolg das Lernen behindert

Tag und Nacht, Sommer und Winter, Erfolg und Scheitern: unser Leben findet in einem Rhythmus der Gegensätze statt. Das gilt auch für unser Berufsleben. Und so gehören auch Misserfolge zu jeder gelungenen Karriere. Denn nur wer schon einmal gescheitert ist, kann aus seinen Fehlern lernen und damit persönlich wachsen. Für die eigene Anpassungsfähigkeit ist diese Erfahrung essenziell. Lebensläufe von Arianna Huffington, Steve Jobs oder Frank Thelen in Deutschland belegen das. Und ich kenne zahlreiche weitere Beispiele aus meiner Beratungspraxis.

In der Startup Szene gilt scheitern und das damit verbundene Lernen sogar als Qualifikation für eine erfolgreiche Unternehmerkarriere. Wer aber nur auf den Erfolg programmiert ist, dem fehlt diese wichtige Lernerfahrung und umso schwerer fällt die persönliche Anpassung im Ernstfall.

Dialektisch denken lernen

Aber wie kann der richtige Umgang mit dem eigenen Erfolg gelingen ohne die eigene Anpassungsfähigkeit zu gefährden? In meiner Arbeit mit Entscheidern und Unternehmern auf der obersten Führungsebene begegne ich immer wieder Persönlichkeiten, die einen gesunden Umgang mit ihrem persönlichen Erfolg gefunden haben. Sie benutzen dabei keine Tools und folgen auch keinem 7-Punkte-Plan. Im Gegenteil. Sie gehen wie jeder gute Stratege vor: Sie denken dialektisch, vereinen Widersprüche in sich und brechen ihre eigenen Regeln. Vielleicht ist das sogar die einzige Regel, der sie folgen. Drei Muster sind mir dabei besonders aufgefallen.

Team

Ambition trifft auf persönliche Bescheidenheit

Anpassungsfähige Führungskräfte setzen ihren Teams und sich selbst ambitionierte Ziele und setzen alles daran die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen. Sie arbeiten fokussiert und dulden kein Mittelmaß. Haben sie ihr Ziel erreicht, dann machen sie andere für ihren Erfolg verantwortlich. Auf der Bühne sprechen sie mehr über ihre Teams als über sich selbst. Geht etwas schief, dann übernehmen sie persönlich die Verantwortung. Damit wirken sie zudem wie ein Magnet und ziehen regelmäßig Top-Talente in ihren Kreis. Der nächste Erfolg ist dann vorprogrammiert.

Expertise trifft auf Anfängergeist

Anpassungsfähige Führungskräfte sind Experten auf ihrem Gebiet. Sie haben jahrelange Erfahrung, können Muster erkennen und die Situation richtig einschätzen. Sie sprechen auf Augenhöhe mit ihren Kunden und begeistern ihr Unternehmen mit ihrer Vision. Aber sie haben ihre Neugierde nicht verloren und sind zudem in der Lage im Raum des »Nicht-wissens« zu operieren. Sie schaffen es Produkte, Märkte und Wettbewerber immer wieder so zu betrachten, als würden sie sie zum ersten Mal sehen. Sie sehen die Welt dann mit den Augen eines Anfängers. »Der Anfängergeist kennt viele Möglichkeiten, der des Experten nur wenige«, heißt es dazu im Zen.

Feste Prinzipien treffen auf scheinbare Widersprüche

Anpassungsfähige Führungskräfte haben unerschütterliche Grundprinzipien, die ihr Denken und Handeln bestimmen. Es sind häufig ethische Prinzipien in Bezug auf Mitarbeiterführung und den Umgang mit Kunden und Investoren. Dazu zählen aber auch Leistungsansprüche an sich selbst und Qualitätsansprüche an das Unternehmen. Aber sie verlassen sich nicht auf eindimensionale Erfolgsformeln und Modewerkzeuge.

Wenn es die Situation erfordert, können sie sich und ihre Organisation immer wieder verändern, auch wenn das scheinbar konträr zu ihren vergangenen Entscheidungen und Erfolgen ist. Indem sie Widersprüche in sich vereinen, zeigen sie ihre wahre Größe als Führungskraft.

Zwangspause für den persönlichen Erfolg

Wir sind erfolgsverwöhnt. Die letzte Finanzkrise liegt gut 15 Jahre zurück und unsere Wirtschaft ist in der Corona-Krise bisher mit einem blauen Auge davongekommen. Aber möglicherweise stehen wir jetzt an einem Wendepunkt. Denn mit Inflation, Gaskrise, Corona-Folgen, Lieferengpässen und Ukraine-Krieg haben wir den perfekten Mix für die nächste Rezession. Der Job an der Spitze wird daher nicht einfacher werden. Zeit also sich auf die neue Situation vorzubereiten und sich entsprechend anzupassen. Zeit den eigenen Erfolg zu hinterfragen und sich von alten Mustern zu verabschieden.

Und wenn Ihnen das schwer fällt, dann sehen Sie es vielleicht einfach so:

Es ist kein Problem, wenn ihr Erfolg demnächst mal Pause macht. Im Gegenteil freuen Sie sich darauf, wenn Sie ihn danach gut erholt wiedertreffen.

Über den Autor

Christian Greiser ist Executive Coach und Unternehmensberater. Er begleitet Vordenker, Gestalter, Entscheider und Unternehmer auf ihrem persönlichen Entwicklungspfad und hilft ihnen, sich ihrer wahren Werte, Talente und Stärken bewusst zu werden. Bevor er sich selbstständig machte, war er Senior Partner bei der Boston Consulting Group (BCG). Sein Buch „Wenn der Erfolg plötzlich Pause macht“ erscheint im Oktober im GABAL Verlag.