Von Frauke Ion und Sophia Schneider
Wir alle lieben diese Tage, an denen das Wetter einfach mitspielt. Es ist nicht zu warm, nicht zu kalt, es regnet nicht. Der Wind scheint perfekt dosiert zu sein, die Sonne strahlt uns ins Gesicht und wir strahlen zurück. Das Leben könnte so schön sein, wenn nie ein Sturm aufzöge, uns der Nebel auf der Autobahn nicht die Sicht nähme oder wir nicht von einem vorbeifahrenden Auto, dank der übergroßen Pfütze, ein zweites Mal am Tag geduscht werden würden. Aber so sehr wir uns das Wetter auch manchmal anders wünschen, es entzieht sich unserem Einfluss.
So ähnlich und doch ganz anders verhält es sich mit dem Betriebsklima. Darunter ist in dem hier beschriebenen Sinne natürlich nicht die messbare Temperatur, Luftfeuchtigkeit oder gar die Windstärke innerhalb einer Organisation gemeint. Dennoch hat es einiges mit den genannten Beispielen gemein, denn es umgibt Mitarbeitende ebenfalls wie die Atmosphäre unsere Erde. Sie alle können das vorherrschende Betriebsklima wahrnehmen und spüren, doch keiner kann es wirklich greifen und anfassen, und kaum jemand glaubt daran, es verändern zu können. Wie genau ist also das Phänomen »Betriebsklima« konkret zu verstehen? Wie kann es in einem ersten Schritt beschrieben und in einem zweiten Schritt eben doch aktiv beeinflusst werden, sodass das Klima einer Organisation einerseits als angenehm und motivierend empfunden wird und so andererseits wirklich gute Leistung ermöglicht?
Wir verstehen unter Betriebsklima die Summe der individuellen Wahrnehmungen und persönlichen Bewertungen der unternehmerischen, räumlichen, sozialen und atmosphärischen Faktoren einer Organisation:
Die vier unternehmerischen Klimazonen:
Die unternehmerische Klimazone umfasst dabei Dinge wie Arbeitszeiten, Gehälter, das Unternehmensleitbild, Weiterbildungsmöglichkeiten u. v. m.
Die räumliche Klimazone
Die räumliche Klimazone betrachtet den Arbeitsplatz und dessen Ausstattung, den Arbeitsort, die Bürosituation, die Gestaltung des Firmengebäudes, Gemeinschafts-, aber auch digitale Räume.
Die soziale Klimazone
Unter der sozialen Klimazone verorten wir Themen wie die verschiedenen Rollen innerhalb eines Unternehmens, Zusatzleistungen für Mitarbeitende, das Gesundheitsmanagement, Teamevents etc.
Die atmosphärische Klimazone
In der atmosphärischen Klimazone wirken Dinge wie entgegengebrachtes Vertrauen, Kollegialität, die Fehlerkultur, der Flurfunk, der Umgang mit Konflikten und Veränderung und noch einiges mehr.
Die Einteilung in die vier Klimazonen ist nicht immer einfach, weil sie untereinander viele Überschneidungen haben und in ständiger Reziprozität stehen. Das Betriebsklima steht zudem in einer konstanten Wechselbeziehung zur Unternehmenskultur – also der Grundgesamtheit aller Werte, Normen und Einstellungen der Organisationsmitglieder. Sie prägen maßgeblich die Bewertungen, Entscheidungen und das Verhalten der Belegschaft und damit auch die konkrete Ausgestaltung der Organisation.
Lassen Sie es uns an einem Beispiel verdeutlichen:
Fest im offiziellen Leitbild einer Organisation verankert sind die Werte »Innovation« und »Teamgeist«. Entsprechend gibt es ein »Creative Lab« mit Sitzsäcken und Schaukeln, beschreibbaren Wänden und einer riesigen Kiste Lego® z. B. für Prototyping-Sessions zur Produktentwicklung, das von interdisziplinären Teams genutzt werden soll. Die Entscheidung für einen solchen Raum, die Höhe des dafür bereitgestellten Budgets, formelle oder informelle Regelungen für die Nutzung des Raums von einem Belegungsplan bis hin zu »first come, first serve« – all das liegt in der Unternehmenskultur begründet. Wie der Raum jedoch subjektiv von den Mitarbeitenden wahrgenommen und erlebt wird, zeigt sich im Betriebsklima. Wird er als motivierender Faktor wahrgenommen, wirkt er sich positiv auf das Betriebsklima aus. Fühlen sich die Mitarbeitenden hingegen negativ unter Druck gesetzt, ihn auch wirklich zu benutzen (»Schluss mit dem Zusammensitzen in der Kaffeeküche – der Raum war teuer, also nutzt ihn auch!«) oder ihn zu meiden (»Habt ihr nichts Besseres zu tun, als hier in der Spielecke zu hocken?«), gibt es negative Effekte auf das Betriebsklima.
Je höher die Passung der Werte, Normen und Einstellungen der einzelnen Organisationsmitglieder zur konkreten Ausgestaltung von Führung, Meetings, Räumlichkeiten, Arbeitszeitmodellen, Entlohnungssystemen etc. ist, desto besser ist das aktuelle Betriebsklima.
Die Haupteinflussfaktoren für ein gutes Betriebsklima
Entsprechend nennt eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2018 als Haupteinflussfaktoren für ein gutes Betriebsklima auch das wahrgenommene kollegiale Miteinander, gegenseitiges Geben und Nehmen, Regeln, Routinen, Gewohnheiten sowie Gerechtigkeit. Bedenken Sie hierbei bitte, dass solche Studien immer vor dem Hintergrund der aktuell als wichtig und richtig erlebten Werte einer Gesellschaft betrachtet werden müssen. So könnte beispielsweise eine demokratische Abstimmung zur Entscheidungsfindung in Meetings in einem anderen Land mit anderen Normen auch zu erheblicher Irritation der Teilnehmenden und damit negativem Einfluss auf das Betriebsklima führen. Nicht ohne Grund entscheiden »softe« Faktoren wie diese sehr oft zum Beispiel über den Erfolg oder Misserfolg bei der Fusion zweier Unternehmen mit sehr unterschiedlichen kulturellen Kontexten.
Nur flexible Homeoffice-Regelungen oder eine gute Kommunkationsstrategie reichen nicht
Es reicht also nicht, flexible Homeoffice-Regelungen oder eine gute interne Kommunikationsstrategie per se zu haben. Entscheidend ist einerseits, dass Ihre Mitarbeitenden all die Maßnahmen, die Sie möglicherweise zur positiven Einwirkung auf das Betriebsklima angestoßen haben, kennen und sie andererseits tatsächlich als positiv, gerecht und wertschätzend wahrnehmen. Damit sind wir bei dem entscheidenden Punkt, in dem sich das Betriebsklima vom allgemeinen Wetter unterscheidet: Während wir keinen Einfluss auf Regen, Sonnenschein und Windstärke haben, ist ein Betriebsklima nicht von göttlicher Natur, von »oben« indoktriniert und unveränderbar! Ganz im Gegenteil: Mit den passenden Maßnahmen lässt sich ein innerbetriebliches Unwetter zu »eitel Sonnenschein« wandeln.
Stimmigkeit zwischen Maßnahmen und Präferenzen, Werten und Motiven der Mitarbeiter
Dafür braucht es jedoch eine hohe Stimmigkeit zwischen den getroffenen Maßnahmen einerseits und den Präferenzen, Werten und Motiven der Mitarbeitenden andererseits. Sie sehen also: Die Basis für ein gutes Betriebsklima ist mehr als nur »Nicht-Schimpfen«.
Über den Autor
Frauke Ion, die Expertin für Perspektivenwechsel, ist seit 2005 mit ion international als Beraterin, Trainerin und Business Coach unterwegs. Seit 2006 leitet sie als Mitinhaberin das Institut für Persönlichkeit in Köln, dem Experten für diagnostikbasierte Personal- und Persönlichkeitsentwicklung. Sie ist für verschiedene Diagnostik-Tools zertifiziert. Renommierte nationale und internationale Unternehmen schätzen ihre Erfahrung als Sparringspartnerin für Personal- und Organisationsentwicklung. Sie ist spezialisiert auf die ganzheitliche Begleitung von Führungsteams. In ihrer zwanzigjährigen, erfolgreichen Managementkarriere im In- und Ausland konnte Frauke Ion selbst erfahren, was es heißt, Menschen bedürfnisorientiert und typgerecht zu führen.
Sophia Schneider ist als Sozialwissenschaftlerin, Business-Trainerin und systemischer Coach in der Welt der Persönlichkeits-, Personal- und Organisationentwicklung zuhause. Ihr hohes Maß an Empathie und Diplomatie zeichnen sie als Begleiterin von Veränderungsprozessen aus. Ihr besonderes Augenmerk gilt der Verbindung individueller Potenziale und Bedürfnisse mit den Herausforderungen moderner Unternehmen. Als Vertreterin der Generation Y und dem dazugehörenden Mindset schafft sie es, Perspektivräume zu öffnen und diese über Hierarchien hinweg greif-, annehmbar und nutzbar zu machen.