Der viel besungene (und überraschend selten vorhandene) Obstkorb, der Kicker im Pausenraum oder doch der Gehaltsscheck? Was macht einen Arbeitgeber tatsächlich attraktiv? Sind die unterschiedlichen Anforderungen der Generationen wirklich so gravierend, wie oftmals angenommen? Und natürlich: Wie viele und vor allem welche Beine sollen sich Unternehmen ausreißen, um ihre Mitarbeitenden engagiert und treu zu machen?
Das sind häufige Fragen, wenn es um die Arbeitgeberattraktivität geht. Die Antworten darauf zu finden, ist drängender denn je. Denn wo es an Fachkräften mangelt, New Work und Big Quit keine reinen Buzzwords mehr sind und der War for Talent tobt, sollten Unternehmen wissen, auf welche Faktoren es heutzutage wirklich ankommt. Kleiner Spoiler vorab: Der Obstkorb ist es nicht.
Was ist Arbeitgeberattraktivität – und lässt sie sich messen?
Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Dasselbe gilt für die Attraktivität von Arbeitgebern. Will sagen: Arbeitgeberattraktivität bezieht sich auf die Fähigkeit eines Unternehmens, qualifizierte Arbeitskräfte anzuziehen, zu halten und zu motivieren. Es ist ein Maß dafür, wie attraktiv ein Unternehmen für potenzielle und aktuelle Mitarbeiter ist – und damit ist die Attraktivität eines Arbeitgebers auch in hohem Maße von der Branche und von den Personen abhängig, die angesprochen werden sollen. In der Technologiebranche ist vielleicht das Unternehmen am ansprechendsten, das die innovativsten Projekte betreut, im Consultingbereich geht es um Reisetage, Boni und Vergütungspakete, einem Mediengestalter ist Gleitzeit vermutlich wichtiger als einer Polizistin.
Schließlich kann die Attraktivität eines Arbeitgebers auch von regionalen Faktoren abhängen, wie etwa Lebenshaltungskosten, Verfügbarkeit von Kitaplätzen oder Lebensqualität in einer bestimmten Stadt oder Region. Die eine Stellschraube ist also schwer bis gar nicht zu identifizieren, aber das Geflecht aus individuellen Zahnrädern zu kennen, ist für Unternehmen heute wichtiger denn je – und genauso zu wissen, wann und wo eines klemmt.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich einen Überblick über das eigene Ansehen in der relevanten Zielgruppe zu verschaffen:
- Einfach mal fragen:
Es klingt immer so banal und trotzdem werden die bestehenden oder potenziellen Mitarbeiter überraschend selten nach ihrer ehrlichen Meinung gefragt. Das liegt zum Teil daran, dass auch eine ernst gemeinte Frage mitunter keine ehrliche Antwort erhält. Eine anonyme Suggestion-Box wäre die einfachste Lösung, aber auch das funktioniert erst ab einer bestimmten Unternehmensgröße und wenn sichergestellt werden kann, dass sich unter anderem Handschriften nicht zuordnen lassen. Etwas digitaler kann man sich auch klassischer Online-Umfragetools bedienen, die dieses Problem direkt mit aus dem Weg räumen. So oder so liegt die größere Hürde nicht bei dem Befragten, sondern bei dem Fragenden.
Um aussagekräftige Antworten und ein ehrliches Stimmungsbild zu erhalten, muss bereits bei der Erstellung des Fragebogens einiges beachtet werden, denn psychologische Phänomene können ein Ergebnis auch dann noch verfälschen, wenn beste Absichten zugrunde liegen. Duldsamkeitsvorurteile sind beispielsweise eine „beliebte“ Antwortverzerrung, die durch Gesellschaftsnormen oder Umfragemüdigkeit hervorgerufen werden. Die Befragten sind eher geneigt, eine positive Antwort zu geben, damit sie eine negative nicht begründen müssen oder niemanden vor den Kopf stoßen. Eine sorgfältige Durchmischung von Fragetypen und Antwortskalen schafft Abhilfe. - Auf bestehendes Feedback hören:
Websites wie Glassdoor oder Kununu ermöglichen, Arbeitgeber anonym zu bewerten. Auch wenn man sicherlich nicht auf jede Kritik hören muss, lohnt sich ein regelmäßiger Blick auf die Bewertungen, um ein Gefühl für die allgemeine Stimmung zu bekommen. Außerdem gehört Kununu zum Business-Netzwerk XING. Schlechte Bewertungen schrecken potenzielle Bewerber möglicherweise schon vor dem Einreichen des Lebenslaufs ab. - Benchmarking:
Unternehmen können ihre Arbeitgeberattraktivität mit Wettbewerbern oder Branchendurchschnitten vergleichen, um ihre Positionierung auf dem Arbeitsmarkt zu verstehen und Verbesserungsmöglichkeiten zu identifizieren.
Arbeitgeberattraktivität steigern – Ein kleiner Blick in die Vergangenheit
Um zu verstehen, was getan werden muss, lohnt es sich, zunächst einmal zu schauen, was bereits getan wurde. Denn es geht nicht immer darum, einfach mehr zu machen, manchmal lohnt es sich, die Dinge anders zu tun. Das bringt Fortschritt statt einfach mehr vom Gleichen.
Sicherheit ist heiß – attraktive Attribute in den 1970ern
In den 70ern ging es vor allem um Sicherheit. Die Zeiten waren von Umbrüchen und Unsicherheiten geprägt und die Menschen wollten vor allem einen Job, auf den sie sich verlassen konnten. Vor 50 Jahren kam die betriebliche Altersvorsorge als Arbeitnehmer-Benefit auf, Unternehmen, die das bieten konnten, haben gepunktet – und mit den Rentenplänen gleichzeitig sichergestellt, dass die Mitarbeiter sich ans Unternehmen banden.
Gleichzeitig wirkte sich eine gewisse Seriosität und Langlebigkeit positiv auf die Wahrnehmung aus. Eine Anstellung bei einem Start-up? In den 70ern eher nicht so spannend. Die Menschen wollten, dass ihr Job sicher und das Unternehmen solide ist. Dafür stellten Unternehmen ihren Mitarbeitern Aufstiegschancen innerhalb der eigenen Firma in Aussicht und betonten immer wieder langfristige Entwicklungsmöglichkeiten. Eine etwas plakativere Strategie, die beispielsweise im Blockbuster „The Wolf of Wall Street“ aufs Korn genommen wird, war die Namensgebung der Unternehmen. Wohlklingende Familiennamen oder Zusätze wie „Industries“ oder „Gruppe“ sollten Vertrauen wecken und das Marktstanding betonen.
Die Zukunft ist hier – attraktive Attribute in den 1990ern
Mit dem Aufkommen des Internets und der Digitalisierung begannen Unternehmen, in technologische Innovationen zu investieren, um ihre Attraktivität als moderne Arbeitgeber zu steigern. Die Einführung von Computern für Büroarbeit, Datenverarbeitung und Kommunikation steigerte die Effizienz und modernisierte die Arbeitsumgebung. Breitere Verfügbarkeit von E-Mail-Diensten ermöglichte es Unternehmen, ihre Kommunikation zu verbessern und den Informationsaustausch zu beschleunigen. Diese neue Effizienz machte Unternehmen in den Augen vieler Menschen äußerst attraktiv.
Außerdem begannen Unternehmen, Wert auf eine diversere Arbeitsumgebung zu legen und sich für Inklusion starkzumachen. Unternehmenswerte (und deren praktische Umsetzung) wurden relevant.
Alles in Balance – attraktive Attribute in den 2010ern
Der Wunsch nach Jobsicherheit ist abgeflacht und wurde abgelöst von dem Streben nach Selbstverwirklichung und Gestaltungsmöglichkeiten. Flexible Arbeitszeitmodelle und Remote Working wurden immer gefragter. Obendrein kam der Wunsch nach Wohlbefinden und Gesundheit am Arbeitsplatz auf. Betriebliche Gesundheitsvorsorge, subventionierte Sportangebote und – natürlich – der berüchtigte Obstkorb wurden die “Cool Kids” der Arbeitgeberattraktivität. Und sie klammern sich immer noch hartnäckig fest … auch, wenn sie heute vielleicht nicht mehr den Ausschlag geben.
Faktoren der Arbeitgeberattraktivität von heute und morgen
Der Blick zurück hat gezeigt, dass sich die Parameter beständig wandeln, genauso wie die Gesellschaft selbst. Was vor zehn Jahren noch ein verführerisches Angebot war, lockt in zehn Jahren vermutlich niemanden mehr hinter dem Ofen vor. Deswegen ist es essenziell, sich fortlaufend mit dem Thema zu beschäftigen und in den Austausch zu gehen. In seinem Buch Arbeitslust statt Frust führt unser Autor Jonas Höhn einige der aktuellen Best Practices auf, wenn es um Freude an der Arbeit und ein gesundes Betriebsklima geht. Die gehen mitunter weit über den Kickertisch und das Homeoffice hinaus, sind dafür aber auch noch echte Gamechanger in der heutigen Welt.
Flexibilität gewinnt
Man könnte es schon fast als Megatrend bezeichnen. Der Wunsch nach flexiblem Arbeiten ist ungebrochen stark und nimmt eher zu, insbesondere in der jüngeren Zielgruppe. Bei einer Umfrage der Job-Plattform Remote landete dieser Punkt sogar auf Platz 1 der Benefits, die Arbeitnehmer sich in Deutschland wünschen. Dabei bezieht sich diese Flexibilität sowohl auf die Arbeitszeit als auch den Ort.
Ob Jobsharing, Viertagewoche, Gleitzeit oder Remote Work, die Möglichkeiten der flexiblen Arbeitszeitgestaltung sind riesig und die steile These, dass Unternehmen, die nicht wenigstens eines dieser Benefits bieten, in Zukunft auf wertvolle Arbeitskräfte verzichten müssen, flacht mehr und mehr ab. Im Prinzip geht es darum, den Unterschieden der Menschen und ihrer Lebenssituationen Rechnung zu tragen. Davon profitieren schlussendlich beide Seiten.
Ein wichtiger Aspekt ist hier auch das „Top-Sharing“, also eine Führungsstelle in Teilzeit. Lange nicht vorstellbar und noch länger nicht kommunizierbar. Führungskräfte müssen 60 bis 70 Stunden die Woche arbeiten, vor allen anderen da sein und nach allen anderen gehen, richtig? Nein. Es gibt Phasen im Leben, in denen können oder wollen Menschen nicht in Vollzeit arbeiten. Diese Talente zu verlieren, nur weil es an passenden Arbeitszeitmodellen mangelt, ist betriebswirtschaftlich riskant. Ob sich diese Überlegungen gerade in den Führungsetagen positiv auf die Produktivität auswirken, kann man momentan bisher nicht mit Sicherheit sagen. Dafür ist die Entwicklung zu jung. Was man aber bereits feststellen kann: Die Verbundenheit zum Unternehmen steigt definitiv.
Chronobiologie als Produktivitätsbooster
Flexibilität und Individualität konsequent weitergedacht hat die Klinik Wartenberg in Oberbayern. Hier arbeiten die Mitarbeiter in Schichten, die nicht stumpf auf einen Plan geschrieben werden, sondern sich ihrem zirkadianen Rhythmus anpassen. Dass es unter uns sogenannte Eulen, Lerchen und Tauben gibt, also Menschen, die eher morgens, abends oder den gesamten Tag über energetisch sind, ist schon lange bekannt. Paradoxerweise hat sich die Arbeitswelt bislang aber kaum daran angepasst. Immer noch gilt der am produktivsten, der sich morgens um sieben Uhr einloggt. Dabei zeigt das Beispiel Wartenberg, wie es anders und besser gehen kann. Die Belegschaft durfte auf freiwilliger Basis ihren Chronotypen bestimmen lassen – die Schichtpläne werden jetzt auf dessen Grundlage erstellt. Das Ergebnis? Von den 120 Teilnehmern freuen sich 42 Prozent über weniger Schlafmangel und Tagesmüdigkeit. Die allgemeine Lebensfreude ist gestiegen.
Auf Soziales setzen
Zugegeben, dieser Faktor lässt sich nicht einfach „von oben“ regeln und ist auch in der Außenkommunikation etwas schwieriger zu vermitteln. Trotzdem bleiben soziale Gefüge eines der wichtigsten Argumente, wenn Mitarbeiter sich mit der Idee eines Jobwechsels tragen. Wer „Frollegen“ (Kofferwort: Freunde+Kollegen) hat, gesunde Beziehungen am Arbeitsplatz führt und sich sicher und aufgehoben fühlt, ist wesentlich weniger wechselgefährdet. Nun kann man Freundschaft schlecht verordnen, Unternehmen können aber einiges dafür tun, sie zu fördern. Bei den meisten geht das durch den Magen. Die AXA bietet Mitarbeitern für nachmittägliche Jours Fixes eine Team-Pizza an, die im internen Bistro bestellt werden kann. Genau dort, wo auch Picknickkörbe für Meetings in den Outdoor-Anlagen des Konzerns bestellt werden. Bei TUI gibt es Community-Tables, die Mitarbeiter ohne Lunchdate zu Austausch und Gesellschaft einladen, und bei SAP wird mittags getanzt. Bei diesen Lunch-Beats wird einmal im Monat die Mittagspause für gemeinsame Bewegung (Betonung auf gemeinsam) genutzt.
Übrigens: Der hartnäckige Mythos, dass während der Arbeitszeit mehr gequatscht und weniger erledigt wird, wenn sich die Mitarbeiter gut verstehen, ist genau das: ein Mythos. Stattdessen zeigt sich, dass Mitarbeiter resilienter und loyaler werden und ihre Arbeit zuverlässiger erledigen, wenn die zwischenmenschlichen Beziehungen gestärkt werden.
Fazit: Attraktiv ist, was den Menschen ins Zentrum stellt
Ja, auch Fahrkostenzuschüsse und betriebliche Altersvorsorge haben immer noch ihre Daseins-Berechtigung, wer aber heute und morgen aus der Masse der Unternehmen hervorstechen und sich als attraktiver Arbeitgeber positionieren möchte, muss der Individualität und den tiefen Bedürfnissen der Menschen Rechnung tragen. Ob es um Freundschaften oder den Biorhythmus geht, den Unterschied machen in Zukunft die Faktoren, die das Wohlbefinden und die (mentale) Gesundheit der Mitarbeiter fördern. Und wenn dann zwischendurch noch ein Obstkorb geboten wird, umso besser.
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