Wir leben in aufwühlenden Zeiten. Alles rund um uns wirkt zunehmend unsicher, ungewiss, zu komplex, um es zu verstehen. Unruhen, Kriege, Pandemien, volatile Märkte, die Künstliche Intelligenz als wahlweise apokalyptische Bedrohung oder evolutionärer Heilsbringer. Der Futurist Jamais Cascio bezeichnete unsere Welt als BANI, ein Akronym mit den Eigenschaften Brittle (brüchig), Anxious (ängstlich), Non-Linear (nicht-linear) und Incomprehensible (unverständlich). In einer Welt des multiplen Wandels und Chaos können wir uns nicht auf (vermeintliche) alte Sicherheiten und Gewohnheiten berufen. Meine These: wir sind gezwungen, unsere innere Sicherheit zu kultivieren - und mit dem Flow des Wandels zu gehen. Hier helfen uns urmenschliche Super Skills, die wir gerade in Zeiten der Transformation benötigen. Sieben davon möchte ich hier gerne skizzieren:
Sieben Super Skills in Zeiten der Transformation
1. Selbst-Sinn:
Noch nie war es in der Arbeitswelt so wichtig, zu wissen, was wir können, was wir (bewirken) wollen und wie wir uns einbringen. Self-Leadership wird auch für ganz normale MitarbeiterInnen wichtiger. Denn: Mitarbeitende müssen und dürfen sich tendenziell immer stärker selbst führen und managen, selbstständig Entscheidungen treffen und sich in Projekten proaktiv einbringen. Das ist womöglich ein bisschen anstrengend, aber auch eine große Chance – die eigenen Stärken und Interessen einzubringen und mehr Sinn im Job zu finden. Je reflektierter wir über unsere Talente, Bedürfnisse, Stärken, Schwächen und persönliche Grenzen Bescheid wissen und diese auch kommunizieren, desto besser können wir unser (Arbeits-)Leben selbst gestalten und in Einklang mit dem Unternehmen bringen – oder neue Wege gehen.
2. Abundance and Growth Mindset:
Wir werden in der westlichen Gesellschaft von Kindesbeinen an im Mangeldenken des „Höher, Weiter, Schneller“ geprägt, das uns suggeriert, nie genug zu haben und nicht gut genug zu sein – und uns so in ungesunde Muster verfallen lässt. Letztendlich führt dieses Mangeldenken zu Selbstsabotage („geht nicht“, „kann ich nicht“), zur Ausbeutung der Natur und ihren Ressourcen, zur Ausbeutung von „Arbeitskraft“ bis hin zur sinnorientierten Selbstausbeutung – und es lässt uns frustriert im Status quo verharren, auch wenn wir wissen, dass Veränderung nötig wäre.
Eine Alternative bietet das „Fülledenken“, das „Growth and Abundance Mindset“: Indem wir uns auf Ressourcen und unendliche Möglichkeiten besinnen, eröffnen sich tatsächlich neue Chancen und Win-Win-Gelegenheiten, die wir vorher mit den miesepetrigen Scheuklappen übersehen haben. Die Frage ist dann nicht, ob Veränderung möglich ist, sondern wie sie erfolgreich möglich ist.
3. Fokus,- Flow- und Zeit-Genius:
Der Mensch hat im Schnitt 4000 Wochen Lebenszeit zur Verfügung. Die wichtigste Ressource, die nicht mehr nachwächst, wenn sie uns genommen wird, ist die Zeit. Im Zeitalter der maximalen Ablenkungen und der zunehmenden Arbeitsverdichtung wird es allerdings immer schwieriger, fokussiert und produktiv zu bleiben. Wir müssen Zeit als wichtigste Ressource im Unternehmen begreifen, Zeitfresser etwa in Meetings und in Arbeitsabläufen identifizieren und die Arbeitsweisen soweit möglich an die menschliche Produktivitätsleistung anpassen – mit entsprechenden Fokus- und Erholungsphasen.
4. (R)Evolutionäre Agilität:
In Veränderungsprozessen ist unser Gehirn gefordert, agil zu handeln, sich an die Gegebenheiten anzupassen und neue Wege auszuprobieren. Das Verlassen der Komfortzone führt in der Regel zu Irritationen, weil das menschliche Grundbedürfnis nach Sicherheit unerfüllt bleibt. Wir können unser Gehirn jedoch in Sachen Agilität trainieren und innere Sicherheit finden und geben, indem wir transparent Ziele, Erwartungen und Ungewissheiten kommunizieren. Das agile Mindset lässt sich wie ein Muskel trainieren – darauf können Führungskräfte und HR-Manager:innen im Unternehmen aufbauen, wenn es um das Anstoßen von Veränderungsprozessen geht.
Dabei hilft es auch, Rituale des Loslassens zu etablieren – etwa die Ankunft des papierlosen Büros mit einer kleinen Feier zu verknüpfen und gemeinsam altes Papier zu zerknüllen. Das agile Mindset kann immer wieder mit kleinen Veränderungen trainiert werden. Etwa: bewusst kleine Aufgaben als Pause in Tätigkeiten zu streuen, um das Umswitchen im Denkprozess zu trainieren. Oder: ein Meeting spontan nach draußen in den Park verlegen. Oder: als Checkin zum Team-Meeting gemeinsam ein Rätsel lösen. Agil zu sein, bedeutet nicht schneller zu reagieren. Es ist die Fähigkeit mit der Veränderung mitzugehen, und sogar, ihr einen Schritt voraus zu sein.
5. Veränderungsmut:
Habe den Verstand, dich deines Mutes zu bedienen: so könnte das Credo des 21. Jahrhunderts lauten. Mutige Menschen, die Neues ausprobieren und auch Risiken eingehen, um den Wandel in Unternehmen voranzutreiben, sind gefragter denn je. Und sie scheinen rar gesät zu sein.
Meine These ist: Veränderungsmut wird oft durch falsche Glaubenssätze und eine abstrafende Fehlerkultur blockiert. Wenn Mitarbeitende bemerken, dass ihr Mut belohnt wird, werden sie sich mehr einbringen. Eine Unternehmenskultur, die den Veränderungsmut der Führungskräfte und Mitarbeitenden fördert, produziert wie von selbst mehr Innovation, Kreativität und damit neue Lösungen für Geschäftsfelder und Arbeitsweisen. Der Ursprung für Veränderungsmut ist die Neugier und die Lust auf Neues, der Erfolgsfaktor das „Einfach machen!“ Das gelingt in kleinen Schritten: als Fixpunkt auf der Meeting-Agenda könnte etwa stehen: „Das machen wir ab jetzt anders!“ Dann werden zu einer aktuellen Herausforderung neue Lösungsideen gesammelt und in kleinen Schritten eingeführt.
6. Emotionale Veränderungsintelligenz:
Wir können den Wandel mit Weinen, Wut und Widerstand weiterentwickeln. Emotionen sind Teil des Wandels – und sie sind nicht immer positiv. Daher ist es so wichtig, Veränderungsprozesse gut zu kommunizieren, um möglichen Ängsten und Vorbehalten den Wind aus dem Segel zu nehmen. Die größten KritikerInnen des Wandels können aber sehr wertvoll für den Erfolg der Transformationen sein. Und auch in persönlichen Veränderungsprozessen dürfen wir ein wenig gnädiger mit uns selbst sein: Wandel tut nun mal auch weh, ist mühsam und man kommt an seine Grenzen – sonst ist es kein Wandel, sondern ein Wändelchen.
7. Verbundenheitskompetenz:
Wenn äußere Sicherheiten wegbrechen, fühlen sich Menschen oft verloren. Wie MIT-Professor Otto Scharmer sagt, beruhen die drei Krisen der Menschheit auf Trennung: die ökologische Krise entspringt der Trennung des Menschen von der Natur, soziale Krisen, Unruhen, Diskriminierungen entstammen der Trennung der Menschen voneinander, und die Sinn- und Glaubenskrisen sind Folge der Trennung des Menschen von sich selbst. Doch wenn Trennung das Problem ist, ist Verbundenheit die Lösung. Die Fähigkeit, sich mit sich selbst, der Natur und mit anderen Menschen zu verbinden, bringt uns Stabilität und Kraft und lässt uns Krisen gelassener durchstehen sowie das Vertrauen in uns und zu anderen wachsen.
Eine Verbundenheits-Kultur schaffen wir in Unternehmen dann, wenn wir die Bedürfnisse der Menschen ernst nehmen (etwa mit den Fragen „Was willst du?“ und „Was brauchst du?“), wenn wir das Geben als Währung für Verbundenheit einführen und für ein entspanntes, empathisches Miteinander sorgen. Touchpoints für Verbundenheit gibt es in Unternehmen allernorts: im Bewerbungsverfahren und Onboarding, in der täglichen Zusammenarbeit, bei Mitarbeitergesprächen und Gehaltsverhandlungen. Dabei hilft die Frage: „Führt die Maßnahme XY/ die (Nicht-) Kommunikation zu einem Gefühl der Verbundenheit oder der Trennung?“
Die 13 Super Skills machen den Unterschied
Die 13 Super Skills machen den Unterschied, ob Veränderungsprozesse gelingen oder überhaupt erst in Gang kommen – und daher sind sie „super“. Sie sind aber nichts Besonderes, denn wir alle tragen sie in uns: Neugier, Ausprobieren, Entdeckerdrang, gemeinsames Erschaffen, das Vorhandene spielerisch nutzen, Gewohnheiten etablieren und wieder verändern – und sich gegen erzwungene Veränderung auch mal wehren: all das tun Kinder auf ganz natürliche Art. Wir dürfen unsere Super Skills einfach nur wiederentdecken – und damit auch ganz neue Potenziale und Wege in ein (Arbeits-)Leben, das wir wirklich wollen.
Über die Autorin
Nicole Thurn arbeitete fast ein Jahrzehnt bei einer großen österreichischen Tageszeitung, davon sieben Jahre als Karriere- und Business-Journalistin. 2016 gründete die Wahl-Wienerin NewWorkStories.com – das Magazin für die neue Arbeitswelt, das sich mit Persönlichkeits- und Organisationsentwicklung der neuen Arbeitswelt auseinandersetzt. Seit 2017 ist sie als freie Journalistin und selbstständige Kommunikationsberaterin zum Thema Neue Arbeitswelt unterwegs. Nicole Thurn hat zahlreiche journalistische Beiträge zu Arbeits- und Karrierethemen verfasst, darunter Interviews mit Top-ManagerInnen für die herCAREER, Beiträge für die Magazine „Manager Seminare“, „Working Women“, den WEKA-Verlag und den Red Bull Innovator.
Bildquelle; Choreograph / istockphoto.com