von Monika Hein
Empathie ist so ein wunderbares Wort. Warm und weich erscheint es uns, jeder sollte sie heute haben! Gerade im Lern-Umfeld wird sie als selbstverständlich angenommen. Lehrende müssten sie doch haben, Führungskräfte sowieso. Insgesamt werden das Lernen und das Miteinander doch damit leichter.
Sicherlich ist es sinnvoll, sich in der Lehre in andere einzufühlen. Doch kann man Empathie einfach so „haben“? Sind Menschen eigentlich immer empathisch? Ist es der eine mehr als der andere? Und: was bedeutet es überhaupt, empathisch zu sein? Können wir Empathie bei Lehrenden und Führungskräften annehmen, einfordern? Oder müssen wir sie vielleicht „nachschulen“? Empathie ist in aller Munde, offensichtlich haben wir den Wunsch, darüber zu sprechen. Gibt es wirklich einen immer größer werdenden Mangel an Empathie in unserer Gesellschaft, so auch in der Lehre?
Es ist, bei aller Erwartungshaltung und angesichts dieser großen Frage in unserer Gesellschaft, doch immer etwas unklar, worüber wir eigentlich sprechen, wenn wir dieses Wörtchen benutzen. Und eine weitere Frage ploppt auf: Wem gegenüber sollen wir wann empathisch sein? Gibt es Situationen, in denen Empathie schadet? Kann sie uns überfordern?
Empathie ist nicht so weich, wie man denkt!
Jeden, der bei Empathie an Räucherstäbchen und Erdbeertee denkt, wird dieser Artikel ernüchtern: Sie ist keineswegs eine weiche, einfache oder esoterische Angelegenheit: Sie kostet Mühe. Sie stellt uns, gerade im Lernumfeld, manchmal vor große Herausforderungen. Sie ist umständlich und kann recht unbequem werden. Denn: Sie fordert uns dazu heraus, das eigene Ego, die eigenen Wünsche und Ziele auch mal hinter uns zu lassen oder zumindest zeitweise zu ignorieren. Und das fühlt sich manchmal gar nicht so gut an.
Wie tickt ein Mensch?
Fangen wir beim eigentlichen Dilemma an, das sich bei der Empathie auftut. Die eigenen, sehr individuellen Erfahrungen, Werte, Sichtweisen prägen unsere Wahrnehmung der Welt, wirken wie ein Filter auf das, was wir Wirklichkeit nennen. So kann es sein, dass sich jemand in Rollenspielen im Kommunikationsseminar so vorgeführt gefühlt hat, dass er sich dieser Methodik nicht mehr öffnen mag. Sein Filter hat eine Prägung erfahren: Rollenspiele sind doof. Genau dieser Filter, den wir alle haben, verengt zuweilen unseren Blick auf die Welt und auf andere: Wir können uns nur schwer vorstellen oder überhaupt nicht wissen, was in jemandem vorgeht, dessen Haltung meilenweit von unserer eigenen entfernt liegt und der sich Methoden verwehrt, die wir selbst als Seminarleiter super sinnvoll finden. Erfahrungen schaffen die eigene Wirklichkeit. Diese halten wir für wahr. Wenn diese „Wahrheiten“ aufeinander prallen, wird es schwer mir der Empathie.
Urteile sind an der Tagesordnung
Meist ist es so, dass wir dann den leichten Weg gehen: Wir verurteilen, bewerten und finden schlimmstenfalls, dass WIR sowieso Recht haben. Mit dieser Haltung sind wir nur leider in einer Sackgasse gelandet: Rechthaberei ist so ziemlich das Gegenteil von Empathie. Hier kommen wir nicht mehr zusammen. „Richtig“ und „falsch“ sollten im Zwischenmenschlichen – und ganz besonders auch in der Lehre – keine allzu große Rolle spielen.
Doch natürlich passiert das immer wieder. Wahrscheinlich täglich. Das kann ein Seminarteilnehmer sein, der eine Übung nicht mitmachen möchte, weil sie ihm unangenehm ist. Das kann eine Mitarbeiterin sein, deren Arbeitsweise wir nicht nachvollziehen können, weil sie uns einfach nicht effizient erscheint. Das kann mein Sitznachbar im Seminar sein, der desinteressiert neben mir einschläft und genervt kommentiert, dass das alles doch kalter Kaffee sei… Und schon finden wir diese Menschen irgendwie anstrengend. Wären sie vernünftig, müssten sie das alles doch anders sehen / machen / denken – oder nicht?
Was wir dabei vergessen: Hinter jedem einzelnen Menschen, jedem Teilnehmer und jeder Führungskraft steckt eine ganz eigene, individuelle Lebenswelt. Jeder sieht durch seinen eigenen Filter, jeder hat auf seine Weise das Recht, die Welt so zu betrachten, wie er das möchte – ob es uns gefällt oder nicht. Und dann darf derjenige eine vermeintlich tolle Kommunikationsübung eben auch mal total doof finden. Oder unsere Akribie nicht nachvollziehen wollen. Oder jemand darf sich gerade völlig fehl am Platz im Seminar fühlen. Sie oder er darf das!
EMPATHIE IST EINE STÄRKE, SIE IST EINE FORM DER AUFMERKSAMKEIT, DIE GUTE ZUSAMMENARBEIT ÜBERHAUPT ERST ERMÖGLICHT.
Großzügigkeit ermöglicht Empathie
Sie darf das. Er darf das. Dieser kleine, einfache Satz hilft oft schon, um eine weichere Sichtweise einzunehmen und Empathie möglich zu machen. Dieser Mensch darf das. Schon das ist manchmal unglaublich schwer, doch dieser Satz ist extrem wirksam, um Urteilen vorzubeugen.
Wenn diese erstmal im Spiel sind, ist es schwer, noch aufeinander zuzugehen. Urteile ziehen Abwehr und Abwertung hinter sich her. Doch, persönliche Freiheit zu gestatten, den anderen erst einmal machen zu lassen, das macht uns natürlich noch nicht zu einem empathischen, doch zumindest zu einem großzügigen Menschen. Und das ist eine wichtige Grundvoraussetzung für Empathie.
Neugierig bleiben
Der nächste Schritt ist: neugierig bleiben. Dass ich zumindest versuche zu verstehen, was der andere gerade empfindet oder was er braucht. Das ist ein kognitiver Vorgang. Kognitive Empathie üben wir, indem wir uns die Zeit nehmen, wirklich darüber nachzudenken: Was könnte der Grund für das für uns unverständliche Verhalten sein? Wie würde es mir in seiner Lage gehen? Was könnte er gerade brauchen? So lösen wir uns davon, eingeschnappt zu sein, zu urteilen, das Ego zu pflegen. Wir lenken den Blick und den Gedanken neugierig, offen und wertschätzend auf den anderen Menschen.
Emotionale Empathie geht dann wirklich an die Gefühle: Wenn ich die Gefühle des anderen kenne, versuche ich, mich „einzufühlen“. Beide Formen der Empathie können wir nicht voneinander trennen – löst doch jeder Gedanke auch ein Gefühl aus und anders herum. Kopf und Herz ergeben hier ein gutes Team.
Wenn Einfühlung stressig wird
Wovor wir uns aber hüten müssen, ist der so genannte empathische Stress, der auftaucht, wenn mich im Lernumfeld die emotionale Situation eines Menschen so stark ablenkt, dass ich meinen Job nicht mehr machen kann und allen anderen Teilnehmern oder Mitarbeitern nicht mehr gerecht werde. Die Bedürfnisse oder Probleme anderer nehmen uns dann dermaßen mit, dass wir kaum mehr Abstand bekommen. Hier ist die Kunst des Abgrenzens gefragt – Distanz gehört auch zur Empathie!
Mitgefühl statt Empathie
Genau diese Distanz, das hört sich vielleicht seltsam an, wandelt Empathie in Mitgefühl um. Das Team der Forscherin Tania Singer in Leipzig hat mit der Hilfe eines buddhistischen Mönchs, Matthieu Ricard, herausgefunden, dass es einen maßgeblichen Unterschied zwischen Empathie und Mitgefühl gibt. Dieser Unterschied ist – natürlich nicht nur, aber ganz besonders – an Lernorten wichtig.
Vielleicht schaffen wir es immer mehr, diese großzügige und gleichzeitig starke Haltung einzunehmen.
Mitgefühl lässt uns aufrecht stehen
Beim Mitgefühl, so wie es in der Forschung beschrieben wird, behalten wir unsere eigene Stärke bei und lassen uns nicht von störrischen Teilnehmern, verstimmten Mitarbeitern oder mauligen Kollegen durcheinander bringen. Bei der „reinen“ Empathie laufen wir nämlich Gefahr, uns zu sehr betreffen zu lassen und dadurch handlungsunfähig zu werden. Gefühle überrennen uns dann – Mitgefühl dagegen lässt uns aufrecht stehen und bringt uns in die Lage, dem anderen alles Gute zu wünschen und ihn natürlich auch zu unterstützen, sofern es in unseren Möglichkeiten steht. Wo unsere Möglichkeiten hingegen begrenzt sind, können wir nichts tun und geben die Verantwortung an den anderen zurück oder an andere weiter, die zielgerichteter helfen können. Ich wende mich wieder meiner Aufgabe, den restlichen Seminarteilnehmern, meinem Team zu.
Selbstempathie - die eigenen Grenzen kennen
An der Stelle, an der ich stabil stehen bleibe und für mich sorge, kehrt ein weiterer, wichtiger Aspekt in unsere Überlegungen ein: die Selbstempathie. Sie stellt sicher, dass ich meine eigenen Grenzen, meine Möglichkeiten und meine Bedürfnisse kenne und achte. Sie ist genauso wichtig oder noch wichtiger als der Blick nach außen:
Selbstempathie ebnet den Weg zum Mitgefühl
Wenn wir Mitgefühl üben, wünschen wir nicht nur dem anderen alles Gute, sondern auch uns selbst. In Trainings für mehr Mitgefühl wird die buddhistische Metta-Meditation unterrichtet, die eine grundsätzlich freundschaftliche Haltung gegenüber sich selbst vermittelt. Möge ich glücklich und gesund sein. Möge ich frei von Feindseligkeit sein. Möge ich frei von Krankheit sein. Möge ich frei von Kummer sein. So die Übersetzung der Kernsätze.
Diese Haltung sich selbst gegenüber bedeutet nicht, dass wir egoistisch sind und nur für uns selbst sorgen. Diese Fähigkeit stellt sicher, dass die eigene Güte sich nicht nur auf andere, sondern auch auf sich selbst und später auf die Welt an sich ausstrahlt. Wir schauen durch eine mildere Brille auch auf Menschen, die wir zunächst vielleicht anders, seltsam oder störend finden. Doch mit dieser freundschaftlichen Art, mit einer Großzügigkeit und Offenheit, gepaart mit Selbstfürsorge, nähern wir uns dem, was wir meinen, wenn wir über Empathie sprechen.
Empathie kann unbequem sein
Eingangs schrieb ich, dass Empathie unbequem sein kann. Dass sie nicht nur weich und esoterisch ist, sondern dass sie Mühe kostet. Das ist das Schöne daran: Wir bemühen uns ernsthaft um einen freundlichen Umgang mit anderen und gehen nicht den einfachen Weg des Verurteilens, der tatsächlich hoffähig geworden ist. Sondern wir machen uns auf den Weg zu einem menschlichen Umgang. Dieser Weg lohnt sich.
Denn wenn wir damit aufhören, das Verhalten anderer, seien es unsere Mitarbeiter, Seminarteilnehmer oder einfach nur Mitmenschen, als „komisch“ abzutun, öffnen wir uns auf eine Art und Weise, die neue Lernwege, mehr Produktivität und insgesamt mehr Menschlichkeit entstehen lässt. Empathie ist eine Stärke, sie ist eine Form der Aufmerksamkeit, die gute Zusammenarbeit überhaupt erst ermöglicht. Hier, in einem Raum ohne richtig und falsch, ist Begegnung möglich.
Weitere Impulse, wie Sie Empathie lernen und ganz leicht in Ihrem Alltag leben können, gebe ich im Buch „Empathie. Ich weiß, was du fühlst“. Darin erfahren Sie, inwieweit Selbst-Empathie dabei hilft, mit unseren Mitmenschen empathisch umzugehen, ihre Gefühle zu respektieren und ihnen wirkliche Einfühlung entgegenzubringen. Denn von einem klugen Umgang mit Empathie profitieren nicht nur wir, sondern letztendlich auch unsere Gesellschaft.
Monika Hein
Dr. Monika Hein arbeitet als Coach und Trainerin für Stimme, Sprechen und empathische Kommunikation. Ihre Ausbildung im Bereich Musical, ihr Studium der Phonetik und Pädagogik, ihre Promotion in Phonetik und die Weiterbildungen zum Business Coach, Business Trainerin und Heilpraktikerin Psychotherapie prägten ihre Expertise. Sie ist außerdem als Rednerin auf diversen Bühnen zu sehen, um Menschen zu einer empathischen Kommunikation, zu Selbstempathie und zu schönen Tönen zu inspirieren.