Von Ingrid Gerstbach
Burnout im Homeoffice ist kein individuelles Problem, sondern ein organisatorisches. Unternehmen und Führungskräfte sind daher gefordert, Maßnahmen zum Schutz gegen Burnout zu ergreifen.
Die Vorteile von Homeoffice
Zuhause zu arbeiten bringt einige Vorteile mit sich: Das Pendeln fällt weg, es herrscht generell mehr Flexibilität und können diskussionslos unsere ausgebeulte Jogginghose am Schreibtisch tragen. Allerdings verschwimmen so immer mehr die Grenzen zwischen dem persönlichen und beruflichen Leben. Viele Menschen arbeiten im Homeoffice härter als je zuvor. Die Tage sind voll mit Videokonferenzen, manchmal ohne Pausen für das Mittagessen oder einen Kaffee.
Doch unser Geist und unser Körper zahlen einen hohen Preis für den Dauerstress.
Burnout ist die tiefgreifende Folge unseres geschäftigen Lebens.
Die Pandemie hat das Problem nicht erschaffen: Viele waren bereits vorher überlastet. Nun aber ist unser Zuhause – einstiges Heiligtum und Rückzugsort – zum Büro, zur Schule und zum Quasi-Gefängnis mutiert.
2019 hat die WHO Burnout erstmals in die Klassifikation von Krankheiten aufgenommen. Unter dem Namen ICD-11 wird sie im Januar 2022 in Kraft treten. Darin wird Burnout als ein Syndrom beschrieben, „das als Folge von chronischem Stress am Arbeitsplatz konzipiert wurde, der nicht erfolgreich behandelt wurde“. Burnout nimmt laut WHO drei verschiedene Dimensionen an:
- ein Gefühl von Erschöpfung,
- eine zunehmende geistige Distanz oder negative Haltung zum eigenen Job und
- ein verringertes berufliches Leistungsvermögen.
Bei Burnout fühlt es sich oft so an, als wäre es egal, was wir tun – nichts scheint einen Unterschied zu machen. Dies kann zu Frustration und Wut über die eigene mangelnde Produktivität führen, aber auch zu einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit.
Die Unternehmen sind in der Pflicht
Mit dem nun offiziell anerkannten Krankheitsbild hat sich die Verantwortung für den Umgang vom Einzelnen auf die Unternehmen verschoben. Burnout ist kein individuelles Problem, das sich durch Selbstpflege am Wochenende oder regelmäßige Yoga-Einheiten einfach wegwischen lässt. Kurzfristige Maßnahmen helfen nicht dabei, die blutende Wunde zu stillen. Burnout ist ein organisatorisches Problem, das auch nach einer organisatorischen Lösung verlangt.
Der häufigste Grund für Burnout ist Arbeitsüberlastung.
Nun wird aber zu viel Arbeit in der westlichen Gesellschaft nicht als problematisch gesehen – im Gegenteil: sie wird gefeiert. So beträgt die durchschnittliche „normale” Arbeitswoche bereits weit mehr als 40 Stunden. Corona hat den Durchschnitt noch um weitere 48 Minuten verlängert. Viele Unternehmen mussten ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken oder gar entlassen. Das hat den Druck auf die verbleibenden Beschäftigten zusätzlich erhöht. Auch wenn bereits in mehreren Studien nachgewiesen wurde, dass ein längerer Arbeitstag nicht effizienter ist, werden dennoch E-Mails bereits in den frühen Morgenstunden bearbeitet. Es ist normal, dass auch noch um 22 Uhr gearbeitet wird – schließlich gibt es nichts anderes, wohin wir gehen oder was wir machen könnten. Dabei wurde bereits in etlichen Studien nachgewiesen, dass mehr Arbeit die Produktivität gar nicht steigert.
Problematisch ist auch, dass dem Burnout-Syndrom das Stigma anhaftet, dass es ausschließlich auf die eigene Arbeitsbelastung oder Unfähigkeit zurückzuführen ist. Schließlich liegt es an uns selbst, wie wir persönlich mit Stress umgehen. In vielen Fällen liegen die Faktoren jedoch außerhalb unserer eigenen Kontrolle.
Es gibt keine einheitliche Antwort für den Umgang mit Burnout - aber klare Auslöser
Es gibt keine einheitliche Antwort für den Umgang mit Burnout, aber es gibt klare Auslöser, auf die wir achten können.
Einer Untersuchung nach geben drei von fünf (59 Prozent) Mitarbeiter an, dass ihr Unternehmen zwar einige Maßnahmen zum Schutz vor Burnout ergriffen hat.
Unternehmen sollen empathischer agieren
Ein Drittel aber wünscht sich, dass das Unternehmen einfühlender, also empathischer, agieren würde. Nun wird Empathie gemeinhin mit der Fähigkeit gleichgesetzt, „in den Schuhen einer anderen Person zu gehen”. Empathie im organisatorischen Sinne, die bei der Prävention von Burnout wirklich unterstützt, meint etwas anderes: Sie ist Aufgabe der Führungskräfte, um ein Umfeld der psychologischen Sicherheit und des Vertrauens zu schaffen. Führungskräfte sind gefordert, das zu tun, was sie für sich selbst tun würden, und vor allem spontan und schnell auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter zu agieren.
Mit Empathie zu führen bedeutet, dem Gegenüber wirklich zuzuhören, auf seine Bedürfnisse einzugehen und Strategien zu entwickeln, die der momentanen Herausforderung auch entsprechen. In unseren Workshops ist zum Beispiel immer wieder Thema, dass sich Mitarbeiter bei der Einrichtung des Homeoffice im Stich gelassen fühlen. Solche Wünsche sprechen Menschen aber nur offen aus, wenn sie sich sicher und ernst genommen fühlen. Das bedeutet nicht, dass es neue Meetings braucht. Im Gegenteil. Führungskräfte sollten informelle Kommunikationswege finden, die einen offenen, einfachen und authentischen Austausch ermöglichen.
Eine externe Begleitung kann ein sinvoller Weg sein
Manches Mal ist auch eine externe Begleitung ein sinnvoller Weg, um die eigenen blinden Flecken sichtbar zu machen. Das Wichtigste aber ist und bleibt, selbst mit gutem Beispiel voranzugehen, authentisch zu sein und offen zu kommunizieren. Gerade Führungskräfte müssen sich von den eigenen Bedürfnissen lösen, vorhandene Privilegien neu bewerten, Ängste, Gefühle und Probleme offen ansprechen und nicht einfach wegsehen, sondern auch handeln.
Über den Autor
Ingrid Gerstbach ist Expertin für Design Thinking und Innovationsmanagement, Wirtschaftspsychologin und Unternehmensberaterin. Sie sieht sich als Entwicklungshelferin für Unternehmen, um Innovationen, neue Erfolgspotentiale und nachhaltige Wertschöpfung zu ermöglichen.