Von Johannes Stärk
Mit welchen Aufgaben müssen Sie in einem Assessment Center rechnen? Im vorhergehenden Abschnitt tauchten bereits bestimmte Übungen wie Postkorb, Fallstudie, Präsentation, Gruppendiskussion, Rollenspiel und Interview auf.
Doch ein Assessment-Center ausschließlich darauf zu reduzieren, würde der Vielschichtigkeit dieses Instruments nicht gerecht werden. Immerhin handelt es sich um ein ausgesprochen komplexes Auswahlverfahren, bei dem anhand anforderungsbezogener Kriterien die Eignung für eine bestimmte Position oder Ebene ermittelt werden soll.
Wo liegt der Fokus?
In den meisten Assessment-Centern ist der Fokus dabei auf Kriterien aus den Bereichen der sozialen und methodischen Kompetenz gerichtet. Dies bedeutet keineswegs, dass die fachliche Kompetenz irrelevant ist. Dem Kandidaten, der sich einem solchen Auswahlverfahren unterziehen muss, wird diese vielmehr als Grundvoraussetzung unterstellt beziehungsweise im Vorfeld anderweitig überprüft.
Auch wenn die Fachkompetenz größtenteils außen vor bleibt, ist die Annahme, es gäbe so etwas wie ein Standard-Assessment-Center, mit dem sich die soziale und die methodische Kompetenz übergreifend messen ließen, nicht zutreffend. Dafür sind die Anforderungen innerhalb dieser Kompetenzbereiche, die je nach Aufgabengebiet, Hierarchieebene sowie innerhalb des Unternehmens und der Branche stark variieren können, zu unterschiedlich.
DAS Assessment-Center gibt es nicht
Ein Assessment-Center ist im Idealfall so konzipiert, dass es das individuelle Anforderungsprofil der Position oder Hierarchieebene über eine ganz bestimmte Kombination von Aufgaben abbildet. Es ist also durchaus denkbar, dass der gleiche Bewerber, der ein Assessment-Center sehr gut besteht, bei einem anderen eher schlecht abschneidet. Im Klartext heißt das: DAS Assessment-Center gibt es nicht. Es gibt nahezu so viele verschiedene Kombinationsmöglichkeiten wie es Unternehmen oder Institutionen gibt.
Die Top-6-Aufgaben im Assessment-Center
Natürlich gibt es Aufgaben, mit denen statistisch betrachtet bevorzugt gearbeitet wird. Die sechs am häufigsten eingesetzten Übungen sind im folgenden Ranking dargestellt:
1. Präsentation
2. Gruppendiskussion
3. Rollenspiel
4. Fallstudie
5. Interview
6. Postkorb
Mit den Top-3-Aufgaben Präsentation, Gruppendiskussion und Rollenspiel sollten Sie so gut wie immer rechnen. Gerade in mehrtägigen Assessment-Centern könnten speziell diese Aufgaben sogar mehrfach zum Einsatz kommen. Insbesondere Präsentationen werden gerne in verschiedenen Variationen eingefordert, zum Beispiel zu Beginn als Selbstpräsentation und im weiteren Verlauf zur Darstellung bestimmter Arbeitsergebnisse. In einem Führungskräfte-Assessment-Center sollten Sie davon ausgehen, dass das Thema Mitarbeitergespräch nicht nur in einem Rollenspiel behandelt wird, sondern durchaus zwei oder drei unterschiedliche Gespräche stattfinden könnten. Auch bei der Gruppendiskussion gibt es gelegentlich einen zweiten Durchgang.
Nicht mehr ganz so stark vertreten sind dagegen die anderen drei dargestellten Übungen. Eine Fallstudie kommt statistisch gesehen in zwei von drei Assessment-Centern zur Anwendung. Fast genauso häufig kommt das Interview zum Einsatz, auch wenn es streng genommen gar nicht zu den Assessment-Center-Aufgaben zählt. Diese basieren nämlich auf dem Simulationsprinzip, das bedeutet, erfolgskritische Situationen der künftigen Tätigkeit nachzustellen. Das Interview kann deshalb als eigenständiges eignungsdiagnostisches Verfahren betrachtet werden. Unabhängig davon wird es in viele Assessment-Center eingebunden, da es die Möglichkeit bietet, weitere Erkenntnisse über die Kandidaten zu gewinnen. Der Postkorb findet nur noch in jedem zweiten Assessment-Center statt.
Diese Auflistung hat keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit. Es handelt sich lediglich um die sechs beliebtesten Module der Veranstalter. Das Portfolio an möglichen Übungen ist um ein Vielfaches größer. Es gibt eine Fülle von weiteren Aufgaben, deren Aufzählung an dieser Stelle den Rahmen sprengen würde. Seien Sie also nicht verwundert, wenn Sie mit einem Arbeitsauftrag konfrontiert werden, von dem Sie als Assessment-Center-Aufgabe noch nie gehört haben. Im Beratungsalltag stoße ich immer wieder auf Übungen, die zuvor selbst mir unbekannt waren. Ich bin deshalb zu der Schlussfolgerung gekommen: Es gibt nichts, was es in einem Assessment-Center nicht geben kann!
Beispiel für unkonventionelle Aufgaben
In einem Auswahlverfahren für Vertriebsmitarbeiter eines Dienstleistungsunternehmens erhalten die Teilnehmer neben den »klassischen Aufgaben« einen Sonderauftrag. Die Kandidaten werden in die Fußgängerzone geschickt, mit dem Ziel, innerhalb einer vorgegebenen Zeit möglichst viele Passanten anzusprechen und Interesse für die Dienstleistungen des Unternehmens zu wecken. Jedem Bewerber wird dabei ein Beobachter zur Seite gestellt, der die Ansprache der potenziellen Interessenten verfolgt.
Auch wenn diese Aufgabe zunächst exotisch erscheinen mag, so ist sie auf den zweiten Blick gar nicht so abwegig. Flexibilität, Akquisitionsstärke und die Fähigkeit, auf fremde Menschen aktiv zuzugehen, scheinen zentrale Anforderungskriterien für diese Position zu sein. Warum sollten diese ausschließlich in konstruierten Aufgaben und nicht auch in realen Situationen beobachtet werden? Dieses Beispiel ist sicher nicht inhaltlich repräsentativ für die Masse der Assessment-Center, zeigt aber, dass zur Überprüfung spezieller Anforderungskriterien auch unkonventionelle Aufgaben zum Einsatz kommen können. Wenn Sie sich also für eine Vertriebsposition bewerben und Akquisitionsstärke eines der Hauptkriterien ist, dann sollten Sie in der Lage sein, dies nicht nur in der Laborsituation – also im Rollenspiel, auf das Sie sich ja vermutlich gut vorbereitet haben –, sondern auch in unvorhergesehenen Alltagssituationen unter Beweis zu stellen.
Wie bereite ich mich auf ein Assessement-Center vor?
Die Aufgaben, die am häufigsten eingesetzt werden (siehe oben: Ranking der Top 6), werde ich in meinem Buch am ausführlichsten behandeln und dazu sehr differenzierte Bearbeitungsstrategien für ihre verschiedenen Untervarianten darstellen. Darüber hinaus werde ich auf eine Reihe weiterer Übungen eingehen, die zwar nicht ganz so häufig vertreten sind, aber dennoch für viele Assessment-Center-Teilnehmer relevant sein könnten, und auch dafür Lösungsmöglichkeiten vorstellen. Da das Spektrum an möglichen Aufgaben jedoch riesig ist, wird es mir nicht gelingen, jede nur erdenkliche Übung in diesem Buch zu behandeln.
Falls Sie bereits konkret wissen, welche Elemente in Ihrem Assessment-Center eingesetzt werden, sollten Sie sich bei Ihrer Vorbereitung natürlich speziell auf diese Themen konzentrieren. Den Lesern, denen keine Informationen zum Ablauf vorliegen, empfehle ich, sich auf jeden Fall mit den Top-6-Aufgaben auseinanderzusetzen, darüber hinaus aber auch eine Prognose zu treffen, welche Aufgabenkombination wahrscheinlich sein könnte.
Über den Autor
Johannes Stärk ist Managementtrainer und Karrierecoach mit Spezialisierung auf die Themen Personalauswahl und Leadership. Er leitet die im deutschsprachigen Raum führende Assessment-Center-Akademie Intertrainment. Aufgrund seiner Erfahrung als AC-Entwickler, -Moderator und -Beobachter ist er mit der Beurteilerperspektive bestens vertraut.