Persönliche Entwicklung, Karriere, Finanzen

Ambi­tio­nierte Frauen und die Macht­frage

von Lilian Gehrke-Vetter­kind

Kürzlich unterhielt ich mich mit einer Frau, die eine Führungsposition anstrebt. Ich fragte sie:

„Warum willst du Führungskraft werden?“

Sie erzählt mir, dass sie schon mit Anfang 20 die Leitung eines Chores übernommen hatte. Ihr macht es große Freude zu erleben, wie sie andere Menschen in deren volles Potenzial bringen kann.

Als Chorleiterin fand sie heraus, was die einzelnen Sänger*innen gut konnten, welche Stimme ihnen lag und welches Chorstück am besten zu welchen Persönlichkeiten passte. Sie entdeckte, welche Menschen das Potenzial und den Mut zu einem Solo hatten. Und ihr gelang durch das Erkennen der Stärken der Menschen und durch kleine Impulse ihrerseits, dass ein ganzes Konzertprogramm entstehen konnte. Der Moment, wenn alle Stimmen gemeinsam harmonisch, schön und stark erklingen, sei einfach magisch.

„Und was genau gefällt dir an dieser Leitungsposition so gut?“,

wollte ich wissen. „Mir gefällt, dass die Aufmerksamkeit auf dem ganzen Team, dem Chor liegt und nicht auf mir als Dirigentin. Das Gesamt-Werk ist beeindruckend und nicht meine Einzel-Leistung“, antwortete sie mir.

Doch mich interessierte noch etwas:

„Verbindest du mit Führung denn nicht auch Macht? Als Dirigentin bist du doch schon diejenige, die den Einsatz und die Richtung vorgibt. Und auch festlegt, wer das Solo singen darf.“

Und jetzt kam die Reaktion, die ich von vielen anderen Frauen kannte, wenn über das Thema Macht gesprochen wird.„Nein, Macht verbinde ich damit nicht“, sagte sie, „sondern das Gefühl, dass ich etwas gestalten kann.“

Macht auszuüben ist ihr im Kontext Führung nicht wichtig. Es geht ihr darum, Menschen in ihr volles Potenzial zu bringen, lediglich kleine Impulse zu setzen und so etwas Großes daraus entstehen zu lassen – und dabei den Fokus auf die gemeinsam erreichte Team-Leistung zu legen.

Macht ist generell nicht der Treiber, wenn Frauen in Führung gehen. Das habe ich aus unzähligen Gesprächen und Recherchen zu meinem Buch „Frau kann Chef. Mit Freude und Gelassenheit in Führung gehen“ und den vielen Interviews zu meiner repräsentativen Studie „Frauen wollen führen – aber unter anderen Vorzeichen“ (www.femaleleader.info) herausgearbeitet. Macht wird von vielen Frauen als sehr negativ interpretiert.

Doch warum ist Macht zu haben für viele Frauen etwas Negatives?

Macht wird fast immer mit Machtmissbrauch gleichgesetzt. Und bei Machtmissbrauch geht es um die Ausbeutung Schwächerer, um die eigene Überheblichkeit und um das Einhalten der Hierarchieebenen. Selten bringt man mit Macht auch Machtgebrauch in Verbindung.

Und weil Frauen diese Assoziation zu Macht haben, sträuben sie sich, es als erstrebenswert anzusehen, eine Machtposition innezuhaben. Sie wollen sich nicht über andere Menschen erheben und sie empfinden sich auch nicht als besser oder wichtiger als andere Menschen.  Und diese Gedanken zum Thema Macht hindert so einige Frauen daran, eine Führungsaufgabe zu übernehmen. Weil sie nicht den Stempel „machthungrig“ aufgedrückt bekommen wollen. Denn oft wird in unserer Arbeitswelt Macht und Führung eng miteinander verknüpft. Mächtige Menschen sind in Führungspositionen. Ohnmächtige Menschen sind es nicht.

Und genau hier will ich einhaken: Wenn man also mit Macht etwas Schlechtes verbindet und deshalb keine Führungsposition anstrebt, dann begnügt man sich mit dem Zustand der Ohnmacht. Denn dann entscheiden immer andere in der Arbeitswelt, der Politik und grundsätzlich in allen Team-Konstellationen, in denen man sich bewegt. Doch ist das ein guter Zustand?

Macht zu haben ist grundsätzlich nichts Schlechtes.

Entscheidend ist nicht die Frage, ob man Macht hat, entscheidend ist die Frage, wie man mit ihr umgeht. Man kann Macht immer positiv nutzen: Positive Entscheidungen treffen, etwas bewegen, wenn dazu der Auftrag kraft Amtes vorliegt und Menschen ermächtigen. Wenn man Macht hat, kann man auch andere daran teilhaben lassen. Denn ohne Power kein Empowerment!

Und wenn einem das Wort Macht nicht gefällt, dann kann man andere Definitionen benutzen: Einfluss nehmen, Neues gestalten, Dinge aktiv verändern, etc.

Doch ohne eine gewisse Position inne zu haben, kann man nicht gestalten, Themen aktiv vorantreiben und auch umsetzen.

Macht zu haben ist wichtig, wenn man aktiv etwas bewegen und verändern will.

Und deshalb sollten sich Frauen nicht von einer verantwortungsvollen Position abschrecken lassen, sondern sich darauf besinnen, was man Gutes bewirken kann. So wie meine Bekannte, mit der ich neulich diskutierte. Sie mag den Ausdruck „Macht haben“ auch nicht gerne. Doch für sie ist eine Führungsposition damit verbunden, Einfluss nehmen und etwas gestalten zu können. Und es ist völlig ok, es so für sich zu interpretieren.

Und mit dieser Erkenntnis, dass man Macht für sich anders definieren darf, können Frauen mit einer gewissen inneren Gelassenheit Führungskraft werden. Denn bei dem immer noch herrschenden Ungleichgewicht zulasten der Frauen in den Führungsetagen ist es sehr wichtig, dass Frauen gerne führen wollen und sich immer wieder die vielfachen gestalterischen Möglichkeiten einer Führungsaufgabe vor Augen zu führen. Als Führungskraft können sie einen positiven und nachhaltigen Einfluss auf die Arbeitswelt ausüben und sie mit ihrer weiblichen Art prägen. Und so auch ihren Beitrag zu gelebter Diversität in den Führungsetagen leisten.

Bildquelle: FotografieLink / istockphoto

Über die Autorin

Lilian Gehrke-Vetterkind ist Systemische Beraterin für Organisationsentwicklung und Change Management, Kommunikationsberaterin nach Schulz von Thun, LINC Personality Profiler Coach und Diplom-Betriebswirtin mit über 20 Jahren Praxis-Erfahrung in der Personalentwicklung und Erwachsenenbildung. Sie ist Inhaberin von Gehrke & Vetterkind Consultants, Kooperationspartnerin der AllBright Stiftung und der Haufe Akademie, Mitglied der Frauen-Netzwerke nushu und FidAR e.V. sowie Mentorin bei der Deutschlandstiftung Integration und bei MentorMe. Außerdem ist sie Initiatorin des Young Female Leadership Program, ein mehrmoduliges Entwicklungsprogramm für ambitionierte Frauen.